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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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gesunden, hob den Kopf und schrie seine aufflammenden Schmerzen laut in den Wald. Mehr tierisch als menschlich hallte seine Stimme durch den Park und schreckte jedes Lebewesen, das sie hörte, aus dem Schlaf.
    Zitternd stemmte er sich in die Höhe, taumelte erst unkontrolliert herum, ehe er mühsam sein Gleichgewicht zurückgewann und an die Stelle ging, wo er seinen Dolch vermutete. Er fand ihn nach einiger Suche im Schnee. Der Griff trug die Zahnabdrücke der Bestie. Ein gutes Drittel der Klinge fehlte, war abgebrochen. Steckte sie immer noch im Feind? Eric nahm die Waffe an sich. Also war die Bestie wenigstens so schwer verletzt, dass sie nicht weit flüchten konnte. Mit etwas Glück vergiftete das Silber sie sogar.
    Der Wind trug ihm plötzlich und unvermittelt einen Geruch zu, der ihn alarmierte. Tief so er die kalte Luft durch die Nase ein. Es war der Duft …
     … einer Frau! Vermischt mit einem Deo und einem merkwürdigen Parfüm … nein, kein Parfüm. Weihrauch.
    Eric schlich durch das Unterholz und fand in einiger Entfernung Stiefelabdrücke im Schnee. Dicht daneben bemerkte er ein Funkeln. Er bückte sich und fand die Überreste einer Silberkette, an der unterschiedlich große Kügelchen befestigt waren. Er riss ein Stück Unterhosenstoff ab und packte seinen Fund behutsam ein.
    Plötzlich peitschten Schüsse durch die Stille.
    Eric ließ sich fallen und rollte hinter den nächsten Baum, während die Kugeln um ihn herum sirrten. Der Beschuss endete nicht, ganz im Gegenteil. Dem Stakkato nach zu urteilen handelte es sich um mindestens zwei Angreifer und automatische Waffen. Jetzt war es wirklich Zeit für den Rückzug.
    Rasch und stets hinter Bäumen geduckt lief Eric los. Zu seiner Überraschung stellten die Unbekannten das Feuer ein und ließen ihn ziehen. Sie wollten ihn offensichtlich nur verscheuchen und nicht umbringen. Aber warum?
     
    Die Polizei war nach der Schießerei und dem Krach bestimmt im Hotel aufgetaucht, daher entschied sich Eric, in das Ausweichquartier zu wechseln. Er hatte sich telefonisch und ohne Lenas Wissen in zwei weiteren Hotels Zimmer gebucht. Es war einfach sicherer. Man wusste nie, was bei den Jagden alles geschah, und sein Erlebnis hatte ihm das wieder einmal bewiesen.
    Während er auf den Waldrand und das Ufer des Kozjak-Sees zulief, um sich vom Blut zu reinigen, waren seine Gedanken nicht bei den unerwarteten Feinden, sondern bei Lena.
    Er war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen, aber jetzt bat er Gott inständig darum, dass sie gestorben war.
    Sonst würde er sie töten müssen.

XXIII.
KAPITEL
    31. Dezember 1765, in der Umgebung von Auvers,
Kloster Saint Grégoire
     
    »Pierre?«
    Ein schmerzhafte Tätscheln riss ihn aus der Ohnmacht, und als er eiskalten Schnee in den Nacken gerieben bekam, wich auch der letzte Rest der Benommenheit.
    »Was …«, stöhnte er, richtete sich auf und sah das besorgte Gesicht seines Vaters vor sich. Er bewegte seine Arme und Beine: Abgesehen von einem tauben Gefühl in der Hüfte schien er sich bei seinem Sturz nichts getan zu haben. Das Hosenbein war aufgeschlitzt, die Krallen der Bestie hatten sogar das dicke Leder des Stiefels durchdrungen. »Es war Antoine«, erklärte er und stand auf. Jean musste ihn stützten. »Ich … ich habe gesehen, wie er sich aus der Hütte schlich, und folgte ihm hierher«, log er, um nicht zugeben zu müssen, weshalb er sich in Wirklichkeit in der Nähe des Klosters herumtrieb. »Ich wollte ihn zurückhalten.«
    Ansatzlos versetzte ihm der Wildhüter eine Ohrfeige. »Die ist dafür, dass du allein gegangen bist«, erklärte er und sah dennoch mehr erleichtert als böse aus. »Was ist geschehen?«
    In aller Eile gab Pierre die Ereignisse wieder, und Jeans Gesicht verdüsterte sich. »Sie haben sich gepaart? Dann müssen wir die Kreatur in den kommenden Monaten erlegen, oder das Gevaudan wird von den Bestien und ihrem Hunger entvölkert werden.«
    Pierre bemerkte, dass es heftig schneite. Die Flocken hatten die Spuren schon lange bedeckt und würden verbergen, wohin sich Antoine und seine tierische Gespielin zurückgezogen hatten.
    Dann hörten sie den gedämpften Knall, kurz darauf erklang ein zweiter.
    »Das kam von Saint Grégoire!« Pierre rannte los; die Sorge um Florence fachte seine Kräfte an. Jean folgte ihm durch den tiefen Schnee und das weiße Gestöber hindurch.
    Unvermittelt blieb sein Sohn stehen. Ein Schatten tauchte vor ihnen aus den dicht fallenden Flocken auf: jemand, der einen

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