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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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anderen Mann über der Schulter trug.
    »Malesky?«, wunderte sich Jean, als er ihn erkannte.
    »Gut, dass ich Euch treffe«, keuchte er unter seiner Last. »Hier, es ist Euer Sohn … tragt Ihr ihn!« Er warf den angeschossenen Antoine in den Schnee, dessen Gesicht einer blutigen Masse ähnelte. Auch aus seiner linken Schulter rann der Lebenssaft – und aus irgendeinem Grund schlossen sich die Wunden dieses Mal nicht von selbst.
    »Silber«, bemerkte der Moldawier knapp. »Es wirkt am besten gegen sie.« Er schaute nach hinten. »Wir sollten gehen, Messieurs. Die Nonnen sind nicht taub und werden meine Schüsse vernommen haben. Florence wird nichts verraten, sie hat es mir geschworen.«
    »Ist sie wohlauf?«, wollte Pierre wissen und half dem Vater, den verletzten Bruder zu schultern.
    Malesky nickte und schlug ihm auf die Schulter. »Ich kam rechtzeitig, um die nähere Bekanntschaft zwischen ihr und Eurem Bruder zu unterbinden.«
    »Ich danke euch!«
    »Dankt mir nicht – sagt mir lieber, wohin wir nun gehen sollen. Bei dem Sturm schaffen wir es nicht bis zu Eurem Haus.«
    »Es gibt ein Versteck hier ganz in der Nähe.« Jean deutete gen Norden. »Aber sagt mir erst …«
    »Los jetzt«, unterbrach ihn Malesky und ging voraus. »Reden können wir später in einer warmen Hütte.«
    Die drei liefen los, kämpften sich durch den dichten Wald und den immer stärker werdenden Sturm, bis sie endlich einen von Antoines versteckt gelegenen Zufluchtsorten erreichten. Jean kannte nicht alle von ihnen, wusste nur, dass es sie gab – und dass er dort seine Hunde hielt.
    Sie erreichten endlich das kleine Haus, in dem sie sich schon so oft getroffen hatten, brachten Antoine in den gemauerten Keller unter der Scheune, ketteten ihn an und sicherten ihn diesmal doppelt gut. Erst dann begann Jean mit der Untersuchung der Wunden.
    Der Schuss ins Gesicht war von Malesky so schräg gesetzt worden, dass er keinen tödlichen Schaden anrichten konnte; die Wangenknochen wuchsen bereits leise knisternd zusammen, neue Haut bildete sich darüber. Es war eine gewöhnliche Bleikugel gewesen. Auch der Treffer in die Schulter hatte Antoine nicht getötet – aber diese Wunde stammte von einer Silberkugel, schwächte ihn und fügte ihm Schmerzen zu, die er nicht gewohnt war; selbst in der Ohnmacht verzog sich sein Gesicht.
    »Danke, Monsieur Malesky«, sprach Jean leise.
    »Wofür?«
    »Dass Ihr meinen Sohn nicht getötet habt. Ihr seid ein zu guter Schütze, wie Ihr mir in der Beal-Schlucht bewiesen habt. Es kann kein Zufall sein, dass Antoine noch lebt.« Er wischte sich das Blut am Hemd des Liegenden ab und wandte sich zu seinem Bekannten um. »Weshalb habt Ihr ihn nicht erschossen?«
    Malesky war schon wieder mit dem Pincenez beschäftigt, reinigte es in dem ewig gleich bleibenden Ritual vom Tauwasser und klemmte es sich auf die Nase. Er lächelte. »Haltet mich besser nicht für einen guten Menschen, Monsieur Chastel. Er lebt, weil er nicht das Wesen ist, das ich jage. Ich suche das Weibchen, denn das ist die gefährlichere Kreatur. Einen besseren Köder als Euren Sohn bekommen wir nicht.« Er deutete auf die Wunde in der Schulter. »Das Silber steckt noch im Knochen. Ihr müsst es rausziehen, sonst kann es ihn auf Dauer vergiften und sterben lassen. Bedankt Euch daher nicht zu früh bei mir.« Malesky stieg die Leiter in die Scheune hinauf. »Wir unterhalten uns, sobald Ihr hier unten fertig seid, Monsieur Chastel.«
    »Gebt Acht, wenn Ihr hinausgeht. Surtout und die anderen Hunde können hier irgendwo sein.«
    Jean begann damit, die Stelle freizulegen, an der die Kugel saß. Pierre assistierte ihm und hielt die Wundränder auseinander, was nicht einfach war, denn die Fähigkeit zur Regeneration, die den Loup-Garous eigen war, sorgte auch bei Antoine dafür, dass sich das Fleisch schließen und verheilen wollte. Lediglich dort, wo das Silber saß, tat sich nichts. Die Fasern zischten und starben auf der Stelle, sobald sie mit dem Metall in Berührung kamen.
    Jean war es gewohnt, Jagdwunden zu behandeln. Oft genug erwischte es die Treiber der Adligen bei der Hatz auf Hirsche oder anderes Hochwild, und so stellte es für ihn keine große Herauforderung dar, den Steckschuss aus dem Knochen zu brechen, zumal er wusste, dass die Verletzung heilen würde und er keine Rücksicht zu nehmen brauchte.
    Er pulte das Silber aus dem weißen Gelenk, legte es zur Seite und beobachtete gleichsam angewidert und fasziniert, wie der Heilungsprozess begann.

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