Ritus
gelang das Kunststück, hinter einen der Granitbrocken zu huschen, doch Dutzende wurden durch die Kugeln niedergestreckt oder verletzt. Schreie hallten laut über die Ebene und mischten sich mit dem unaufhörlichen Krachen der Musketen.
»So klingt es auf einem Schlachtfeld«, sagte Malesky mitfühlend und machte nicht einmal Anstalten, seine Waffe zu heben. »Arme Schweine.«
Die Belohnung des Königs vor Augen, wollten die Schützen des ersten Hügels nicht aufhören. Sie luden immer wieder nach, Salve um Salve wurde abgegeben, während das Blut der Treiber den Schnee färbte. Das Jagdfieber sprang über. Der Italiener ließ sich verleiten, einen unsicheren Schuss abzugeben. Die Reichweite der Belagerungsbüchse war enorm, und prompt erwischte das Geschoss einen Bauern. Der Arm wurde ihm einfach abgerissen, der Mann fiel steif wie ein Brett hin. Fluchend lud der Italiener nach. Es schien ihn nicht zu kümmern, was er angerichtet hatte.
Auch die Bestie verließ das Glück.
Sie hatte den ersten Hügel beinahe passiert, da jaulte sie unvermittelt auf und machte einen grotesken Hüpfer, lief noch einige unsichere Schritte, ehe sie eine zweite und dritte Kugel trafen. Sie war nahe genug an die zweite Erhebung herangekommen, so dass Jean und Pierre die Löcher im Leib und das Rot im Schnee deutlich sahen.
»Nein«, raunte der Wildhüter bestürzt und griff nach Pierres Arm, der losstürmen wollte, um sich schützend vor seinen Bruder zu werfen. »Nicht. Er lebt.« Bei dem Werwolf, den sie getötet hatten, war die Rückverwandlung in einen Menschen erst durch den Tod ausgelöst worden. Noch tat sich bei Antoine nichts.
Die Jäger indes wussten nichts von der Besonderheit eines Loup-Garou. Ein Dutzend von ihnen stürmte den ersten Hügel herab, jeder Einzelne von ihnen schrie laut, dass seine Kugel die Bestie getötet hätte. Alle erhoben Anspruch auf die Belohnung, stießen Drohungen aus und schlugen mit den Kolben ihrer Musketen nach denen, welche sie überholen wollten.
Der Comte hatte sich ebenfalls in Bewegung gesetzt. Er preschte von der Anhöhe hinab, überholte die Jäger und hielt auf den vermeintlichen Kadaver zu.
»Mach es mir nach«, gab Jean Pierre eine kurze Anweisung, hob dann seine Waffe, drehte sich nach rechts und zielte auf eine kleine Ansammlung von Büschen. Er drückte in rascher Folge die Abzüge nach hinten, feuerte knapp an den erschrockenen Jägern vorbei ins Gestrüpp, Pierres Schüsse folgten unmittelbar. Ohne ein Wort zu verlieren, luden sie nach und liefen los.
»Heilige Mutter! Es sind tatsächlich zwei Bestien!«, rief Malesky entzückt. Damit löste er eine Hysterie unter den Jägern aus, die ebenfalls in den Genuss von zehntausend Livres kommen wollten. Sie rannten los, schossen ins Gebüsch und machten die vierhundert übrigen Konkurrenten auf die unerwartete zweite Gelegenheit aufmerksam. Das Schießen begann von Neuem.
Jean ließ sich zurückfallen. Seine List war aufgegangen, er hatte die Meute auf eine falsche Fährte gelockt.
Als er sich umdrehte und zu dem Platz blickte, an dem der Werwolf lag, stritten sich lediglich vier Männer um den Anspruch, schubsten sich fort, schüttelten die Fäuste und fuchtelten drohend mit den Musketen. Der Comte drängte sie mit seinem Pferd ab und verteilte Stiefeltritte. Offenbar war er der Ansicht, dass er die Bestie erlegt hatte. Die Dragoner galoppierten heran, um die Überreste des Wesens zu begutachten und dem Comte gegen die Fremden beizustehen, die sich so gar nicht um seinen Titel scherten.
Völlig unvermittelt sprang die Bestie auf die Beine und preschte an den überrumpelten Jägern vorbei.
»Haltet sie auf!«
Jean feuerte zum Schein hinter ihr her, doch natürlich verfehlten die Kugeln ihr angebliches Ziel. Die Bestie sah sich im Laufen um, richtete ihre roten Augen auf ihn, und er glaubte, darin so etwas wie Erkennen und Dankbarkeit gesehen zu haben.
»So nicht, Scheusal.« Malesky erschien neben Jean und kniete sich hin, um eine bessere Schussposition zu haben. Er wollte eben abdrücken, da ritt ihm der Comte genau vor den Lauf. Er verfolgte die Bestie und versuchte, sie vom Pferderücken aus mit seinem Degen zu erstechen. Niemand wagte es, einen Schuss abzugeben; der Tod eines Adligen hatte schlimmere Folgen für den Schützen als der Tod eines Treibers.
»Weg, du eingebildeter Idiot«, murmelte Malesky und senkte den Lauf nicht. Als er die ersehnte Lücke für einen Schuss bekam, warf sich Pierre gegen ihn und fiel mit
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