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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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ihm zusammen in den Schnee.
    Die Bestie verschwand nach einem gewaltigen Spurt mit sicherlich neun Schritt langen Sprüngen, bei dem sie sogar den Comte und die Dragoner auf ihren Pferden hinter sich ließ, zwischen einer Ansammlung von Granitfelsen und entkam.
    Pierre half dem Moldawier auf die Beine und klopfte ihm den Schnee von Gehrock und Mantel. »Verzeiht mir, Monsieur«, entschuldigte er sich mit vorgetäuschtem Schuldgefühl. »Ich bin gestolpert. Darf ich Euch wenigstens zu einem heißen Gewürzwein einladen, wenn ich Euch schon die Prämie verdorben habe?«
    Jean sah Malesky an, dass er Pierre nicht einen Augenblick lang glaubte. Der Fremde schien zu ahnen, dass die Schüsse ins Gebüsch ein Ablenkungsmanöver gewesen waren. Dennoch schlug er in die dargebotene Hand ein. »Ich warne Euch: Ich werde den teuersten Wein bestellen, den mir der Wirt empfehlen kann.« Er rückte das Pincenez zurecht.
    Der Dragoner, der ihre Jägergruppe begleitet hatte, ritt auf sie zu. »Was sollte das, Chastel?«, herrschte er ihn an. »Es gibt keine Spuren in dem verdammten Gehölz, auf das du geschossen hast.«
    Jean zuckte bloß mit den Schultern. »Das Jagdfieber muss meinen Blick vernebelt haben.« Er deutete auf die Ebene, wo sich immer noch verwundete Treiber im Schnee wälzten. Ein Karren rollte heran, auf den die Angeschossenen gehievt wurden. »Ich habe wenigstens keinen Menschen verletzt.«
    »Sie wussten, dass es gefährlich wird.« Brutal riss der Dragoner sein Pferd herum und kehrte auf den ersten Hügel zurück, um Capitaine Duhamel Bericht zu erstatten.
    »Eines haben alle Soldaten gemeinsam: Sie sind nicht sonderlich gescheit.« Malesky schaute zu Vater und Sohn. »Messieurs, verlassen wir die Eishölle? Mein Wein wartet.«
    Sie gingen in Richtung Dorf. Der Comte ritt an ihnen vorüber und die Anhöhe hinauf, schwenkte seine Waffe und erhielt Beifall von seiner Entourage. Man feierte ihn als einen wagemutigen Helden, denn das Blut an seinem Degen bewies, dass er der Bestie näher gewesen war als alle anderen.
    Pierre und der Moldawier unterhielten sich über das Leben im Gevaudan, Jean dachte derweil an die Verletzungen Antoines. Kein normales Wesen hätte sie überlebt. Es schien, als hätte der Henker Recht behalten: Einen Loup-Garou tötete man nur mit Silber.

X.
KAPITEL
    Russland, Sankt Petersburg, 13. November 2004, 07:43 Uhr
     
    Eric von Kastell erwachte mit einem gewaltigen Kater. Er hatte so tief geschlafen wie lange nicht mehr. Der Alkohol hatte seinen Verstand betäubt und sogar die Albträume so weit vernebelt, dass er nicht schreiend aufgewacht war. Oder zumindest erinnerte er sich nicht mehr daran.
    Eric setzte sich an den Computer. Das Internet war eine Fundgrube, sowohl für Wissenswertes als auch für so genannten Infomüll. Eric wusste den Müll sauber zu trennen, unterteilte in Halbwahrheiten, Wahrheiten und Erfundenes, das von Wahrheiten abzulenken suchte. Auf einem Stück rohen Schinken kauend und den salzigen Geschmack genießend, hackte er auf die Tastatur ein und entlockte den unendlichen Weiten Hinweise auf seine ganz spezielle Beute. Der Trick bestand darin, zwischen den Zeilen zu lesen und die Zeichen der Bestien zu verstehen, die sie an einem Tatort hinterließen. Sein Vater hatte ihn das gelehrt, wie er ihn alles gelehrt hatte.
    Ausnahmsweise gestaltete es sich dieses Mal einfach. Das Wandelwesen schien es nicht eilig zu haben, die Stadt zu verlassen. Man hatte sein nächstes Opfer gefunden: Einen kleinen Jungen, der auf einem zugefrorenen Kanal Schlittschuh gelaufen war, hatte es nach bekannter Manier zugerichtet.
    Eric rasierte sich, zog warme helle Kleidung und seinen weißen Lackledermantel an, um in den verschneiten Straßen möglichst schwer erkennbar zu werden. Er packte einen Silberdolch, eine Makarov-Pistole und eine Bernadelli aus der Waffenkammer ein und klemmte sich einmal mehr hinter das Lenkrad des Porsches Cayenne. Er schoss auf der Straße in Richtung Eiskanal, um mit seiner Suche zu beginnen.
    Die Polizei befand sich noch vor Ort. Flatterband sperrte den Kanal weiträumig ab, aber die unzähligen Brücken boten genügend Aussichtspunkte für Schaulustige. Und ihn. Eric setzte sich die helle Wollmütze auf, zog mit dem elektronischen Feldstecher los und suchte sich eine nicht ganz so nahe gelegene Brücke, um keinem schlecht gelaunten Polizisten aufzufallen.
    Er drängelte sich durch das Heer von Gaffern nach vorne und übertrumpfte sie alle – wenn auch aus

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