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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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leben. Ihr Stockmaß beträgt drei Fuß, und ihr Körper wird beinahe zwei Schritte lang. Hässlich und seltsam genug ist sie, um von einem unbedarften Bauern für eine Kreatur aus der Hölle gehalten zu werden.« Malesky schaute in Richtung Wald, aus dem das Dröhnen der Treibertrommeln laut herüberklang. Bald kämen sie heraus, und noch immer ließ sich die Bestie nicht blicken. »Es könnte sein, dass eine solche Hyäne aus einer Tierschau ausbrach.«
    »Aber der König … würden seine Gelehrten nicht auf ähnliche Gedanken kommen wie Ihr?« Pierre blies sich in die kalten Hände, um sie zu wärmen. »Warum lässt er den Wölfen nachstellen, wo alles gegen sie spricht?«
    »Weil sie einfach zu jagen sind«, antwortete Malesky. »Der Anblick von toten Wölfen beruhigt die Menschen. Bei Treibjagden wie dieser stehen die Chancen gut, dass sich unsere beiden Bestien aufscheuchen lassen. Es ist wie das Fischen mit einem großen Netz: in diesem Fall ist die Mehrzahl der Beifang, während der Fischer eigentlich zwei besondere Exemplare haben möchte.« Er deutete auf den Waldsaum. »Die Treiber kommen heraus. Gott schütze sie vor voreiligen Schüssen und einem Treffer durch das Mordinstrument unseres italienischen Freundes.«
    Die zweihundert Männer auf der Anhöhe gerieten in Aufruhr. Auch sie hatten die Bewegung zwischen den Bäumen gesehen und hoben die Musketen. Der Italiener redete unablässig mit sich selbst, feuerte sich an, zog den Hahn seiner Waffe zurück und stemmte den Kolben fest gegen die Schulter. Zwar lag das Hauptgewicht auf der Holzhalterung und milderte den mörderischen Rückschlag, dennoch bekam der Schütze bei jedem Schuss eine ordentliche Backpfeife verpasst.
    Einer der Treiber trat, einen roten Wimpel schwenkend, aus dem Wald, um den lauernden Jägern zu signalisieren, dass ihm gleich viele hundert Menschen folgten und sie keinesfalls abdrücken sollten.
    Sein Zeichen wurde zwar durch Winken von den Hügeln bestätigt, aber die Musketenläufe senkten sich nicht. Zu groß war die Angst, dass die Bestie unvermittelt auftauchte und einer der Konkurrenten sich die zehntausend Livres verdiente.
    Nach und nach erschien die erste Welle der Treiber auf der Wiese; die Erleichterung, dem unheimlichen Wesen nicht begegnet zu sein, stand auf ihren Gesichtern. Die Spieße, Mistgabeln und einfachen Stöcke, die sie zu ihrem Schutz bei sich trugen, hatten ihnen nur ein unzureichendes Gefühl von Sicherheit gegeben. Der schmale Streifen vor dem Wald füllte sich mit Menschen, Gesprächsfetzen wehten zu Jean und seinem Sohn herüber, es wurde gelacht.
    »Wie es aussieht, hat Duhamel eine weitere Niederlage erlitten«, merkte Pierre an und gab sich Mühe, nicht zu freudig zu klingen. »Ich wette, dass er und seine Dragoner bald abberufen werden. Der Unmut bei den Leuten wächst. Der heutige Tag macht es nicht besser.«
    Jean schaute zu dem zweiten Hügel, wo er den Comte anhand der prächtigen Kleidung ausmachte. Er saß auf seinem Pferd, eine Hand in die Seite gestemmt, und beobachtete die Ebene aufmerksam. Wahrscheinlich freute er sich, dass der Capitaine mit seiner Jagd nichts erreicht hatte außer ein paar toten Wölfen.
    Malesky hob den Kopf. »Es ist noch nicht vorbei.«
    Das letzte Wort verhallte noch, als die Treiber am Nordrand des Waldes laut aufschrieen. Sie stoben auseinander und versuchten, so schnell wie möglich vom Unterholz wegzukommen; im Rückwärtslaufen hielten sie ihre primitiven Waffen vor sich. Der Tumult wurde natürlich von den Jägern bemerkt. Die Musketen schwenkten herum und richteten sich auf die betreffende Stelle. Die Schützen achteten nicht auf das Gewedel der roten Wimpel, das sie vom Feuern abhalten sollte – denn plötzlich rannte ein graubrauner Schatten zwischen den Treibern umher und nutzte sie geschickt als Deckung.
    Jean meinte, seinen Sohn in der Bestie wiederzuerkennen. »Er ist es«, wisperte er Pierre zu und schaute angespannt zu dem Italiener hinüber, der sich leise plappernd bereithielt, die Büchse einzusetzen. Bevor die Kreatur in den Gefahrenbereich geriet, waren die Jäger auf dem ersten Hügel an der Reihe. Trotz der gebrüllten Warnung der Dragoner, die hinter ihnen entlang ritten, geschah es: Einer der Männer schoss ohne Rücksicht auf die Treiber, und gleich darauf setzte das bekannte anhaltende Knattern wieder ein. Die Bauern unten auf der verschneiten Wiese warfen sich kopfüber in das Weiß und suchten Schutz vor dem tödlichen Hagel. Einigen

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