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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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real?«
    »Es ist mir noch keiner begegnet.«
    »Aber ein Werwolf schon?«
    »Nicht einer.« Er trank seinen Tee und ergänzte in Gedanken sondern Dutzende. »Was fasziniert Sie an Wölfen, Lena?« Seine Hand griff sich den nächsten Ordner, aber die Aufschrift Plitvice machte den Inhalt uninteressant. Kroatien lag beinahe zweitausend Kilometer entfernt. Eric warf ihn auf den Tisch zurück. Immerhin hatte er bei ihr den richtigen Auslöser gefunden, um sie von dem unangenehmen Thema abzulenken.
    »Wölfe begleiten mich, seit ich laufen kann. Mein Vater hat sie erforscht und reiste mit mir viel in Amerika umher. Ich teile seine Leidenschaft, aber mich zog es mehr nach Russland. Hier wird weniger zu ihrem Schutz getan, und ich versuche, das zu ändern. Wissen Sie, Wölfe …« Sie suchte nach Worten. »Es ist schwer zu beschreiben. Ihre gesamte Art, das Sozialgefüge innerhalb eines Rudels, die Schlauheit der scheuen Tiere«, schwärmte sie. »Und immer noch werden sie für mordende Schaffresser gehalten.«
    Eric wollte gerade etwas dazu sagen, als er den Rand eines Bildes bemerkt, der aus dem Ordner Plitvice herauslugte. Durch den schwungvollen Wurf war eine Aufnahme herausgerutscht und zeigte ihm braunrötliches Fell und kleine, spitze Ohren. »Scheiße«, flüsterte er, beugte sich nach vorne, um die Aufzeichnungen durchzusehen, und öffnete den Deckel des Ordners.
    Die Bestie starrte ihn an.
    Sie kauerte mit dem Rücken halb zur Kamera im Unterholz über einem gerissenen Wildschwein und hatte die lange blutige Schnauze gerade aus dem offenen Bauch der Beute gehoben. Die rot leuchtenden Augen schauten genau in die Linse des Apparates. Es gab keinen Zweifel, dass Nadolny das Wesen, das Eric und sein Vater von allen Wandelwesen am dringendsten suchten, gefunden hatte.
    Lena bemerkte sein Erstarren, schaute auf das Bild und sog die Luft ein. »Was ist das denn?« Sie nahm ihm die Fotografie aus der Hand. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte sie nach einiger Zeit verunsichert und drehte die Aufnahme um. »10. Juli 2004, Westufer Kozjak-See«, las sie die Notiz. »Das ist im Nationalpark Kroatiens. Eine sehr schöne Gegend.«
    Für Eric rückte dieses Foto die Geschehnisse in ein neues Licht. »Wie gut kannten Sie Nadolny?«
    »Er war ein Bekannter meines Vaters, er war öfter bei uns zu Gast und …«
    »Hat er sich in Sankt Petersburg merkwürdig verhalten?«
    »Merkwürdig?« Lena runzelte die Stirn. »Was sollen die Fragen? Er wurde umgebracht, und es …«
    »Genau, Lena«, unterbrach er sie. »Er wurde umgebracht.« Eric deutete auf das Foto. »Deswegen.«
    Sie sah verwirrt aus. »Ich verstehe die Zusammenhänge nicht.«
    Er nahm Anlauf zu einer Erklärung, die er noch keinem Menschen jemals zuvor gegeben hatte. Es lag an ihren grünen Augen, an ihrem Gesicht, an ihrem Geruch, dass er mehr erzählte, als gut war. »Was Ihr Bekannter fotografiert hat, wird von meiner Familie seit Ewigkeiten gejagt.«
    Lena lachte ungläubig auf. »Kommen Sie mir wieder mit Ihrem Werwolf?«
    »Ja, Lena. Ich bin nicht verrückt, und glauben Sie mir: Es gibt sie wirklich. Ich nenne sie Wandelwesen, weil sie sich …«
    Die Frau lachte schallend. »Eric, verzeihen Sie mir, aber das ist lächerlich.«
    »Dann erklären Sie mir, was für ein Wolf das ist«, verlangte er wütend und nickte in Richtung der Fotografie. »Nennen Sie mir die Gattung.«
    »Ein …« Ihre Augen huschten über das Foto.
    Bevor sie antworten konnte, setzte er nach. »Und die glühenden Augen? Sagen Sie nicht LED-Lampen.«
    »Ein Blitzgerät …«
    »Ein Naturfotograf mit einem Blitzgerät? Und vermutlich macht seine Kamera jedes Mal Peng beim Abdrücken, damit die Tiere denken, sie wären tot, und stehen bleiben.« Er rückte näher zu ihr, sog ihren Duft ein: Schweiß, verblassendes Deo und die Reste von Wolf, die von der Jacke stammten. »Was Sie sehen, Lena, ist ein Wandelwesen«, sagte er düster und mit einem Grollen in der Stimme. »Ein Hybrid, der verschiedene Merkmale von Wandelwesen vereinigt und grausamer tötet als alle, die ich kenne.«
    Lena schluckte, sie roch unvermittelt nach Furcht.
    »Ich denke, dass sie Nadolny bemerkt und verfolgt hat. Sehen Sie, dass die Bestie genau in die Linse schaut? Sie wusste, wo er ist. Glauben Sie mir: Nichts entkommt ihr. Es sei denn, sie will es.«
    Die Frau zog den Kopf etwas zwischen die Schultern, als würde sie Schutz suchen. Eine ihrer Hände wanderte langsam zu ihrer Tasche, als wolle sie sich dort

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