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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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komme, kennt dichtere Wälder als das Gevaudan. Manchmal vermisse ich die Eichen, Buchen und Fichten. Ich habe dort unzählige Braunbären, Wölfe und Luchse gejagt, Monsieur, und ich weiß um die Finten der Tiere.« Er lachte. »Nicht zu vergessen, dass ich in Euch und Eurem Vater einheimische Unterstützung habe.«
    Antoine und Jean hatten sich dem Eingang des Calice genähert, vor dem zwei Männer saßen, die sich um sechs ausgewachsene Bluthunde kümmerten. Sie gehörten unzweifelhaft zum Gefolge der beiden Jäger aus der Normandie, lagen friedlich im Schatten des Gebäudes und warteten entspannt darauf, dass die Hatz begann.
    »Es sind die besten Tiere Frankreichs, erzählt man sich«, erklärte Malesky bewundernd. »Kein Wunder, dass König Louis die Normannen und sie hierher befahl. Man sagt, die Hunde seien unermüdlich bei der Verfolgung und könnten eine Fährte auch über trockenen Boden hinweg finden, wo keine Spuren mehr zu sehen sind.«
    Pierre verringerte seine Geschwindigkeit. Die tief sitzenden Augen der Hunde, die Falten und die lockere Haut ließen die Tiere traurig und ausgesprochen harmlos aussehen – aber ihre Nasen machten sie für ihn gefährlich. Schlagen sie an, wenn sie mich wittern? Stürzen sie sich auf mich? Er blieb stehen und tat so, als habe er etwas an einem Stand entdeckt.
    Malesky schwärmte weiter von ihren Vorzügen. »Sogar nach der Überquerung eines Flusses finden sie den Geruch am anderen Ufer. Es sind Fälle bekannt, in denen sie einer Spur über sechzig Meilen folgten, und das, obwohl sie mehrere Tage alt war.« Er sah jetzt erst, dass Pierre vor einer Auslage mit Kämmen innegehalten hatte. »Nanu, Monsieur Chastel? Ihr verblüfft mich mit Eurem Interesse.«
    Sein Vater und Antoine passierten die Hunde.
    Zwei der Tiere, die nahe an der Tür lagen, hoben unvermittelt die Köpfe und schnupperten in Richtung der Männer, japsten und wimmerten aufgeregt, bis das ganze Rudel aufsprang und von den Hundeführern an ihren Leinen mühsam zurückgezerrt werden musste.
    Seinem Vater und dem Bruder war es gelungen, in die sichere Unterkunft zu flüchten. Ihm stand der Gang noch bevor, und der würde nicht einfach. Die Bluthunde waren vom Geruch Antoines aufgescheucht und wollten sich nicht mehr beruhigen; sie witterten nun unentwegt, hoben die Köpfe in die Höhe, die ledernen Nasen drückten sich in den Staub der Straße und sogen die verdächtigen Ausdünstungen prüfend ein.
    Noch während Pierre überlegte, wie er an ihnen vorbeigelangen konnte, ohne noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen, bemerkte er ein Gesicht in der Menge, das ihm vertraut zwischen all den Fremden erschien. Er sah lange braune Haare, die unter einem schwarzen Netz gefangen lagen, und den Zipfel eines dunkelroten Kleids hinter einem Zelt verschwinden.
    »Florence!«, sagte er vor Freude lauter als beabsichtigt. Er nahm sich den erstbesten Kamm, warf dem Händler ein paar Münzen zu und rannte los. »Sagt meinem Vater, dass ich gleich nachkomme«, bat er Malesky und drängelte sich durch die Festbesucher.
    »Die Jugend«, sagte der Moldawier nachsichtig lächelnd, schob das Pincenez zurecht und blickte einer jungen Bäuerin, deren locker geschnürte Bluse tiefe Einblicke ins Dekolleté gewährte, auf die Brüste. Als sie sich scheinbar nur für ihn nach vorne beugte, sah er die dunklen Höfe und Brustwarzen. »Ach ja, und der Frühling«, murmelte er und ging pfeifend auf den Eingang des Calice zu.
    Die Bluthunde interessierten sich nicht mehr als zwei intensive kurze Atemzüge für den Mann, zogen und zerrten in alle Richtungen und mussten von den Betreuern unter Aufbietung aller Kräfte gebändigt werden. Sie gehorchten nicht, weder Drohungen noch angebotenen Belohnungen in Form von verführerischen Markknochen.
    Malesky blieb stehen, wandte sich um und betrachtete die ahnungslose Menge in Malzieus Gassen. War die Bestie bereits hier? Er nahm sich vor, noch wachsamer als sonst zu sein, und betrat das Gebäude.
    Jean und Antoine Chastel sah er am Tresen stehen und mit dem Wirt verhandeln. Er nahm an, dass der Vater den angetrunkenen Sohn in ein Zimmer verfrachten würde und anschließend wieder nach unten kam. Daher suchte er in der überfüllten Schankstube nach Sitzplätzen.
    Außer an dem Tisch einer Frau von etwa zwanzig Jahren, die abwesend auf ihren gefüllten Teller schaute und sich nicht regte, war nichts mehr frei. Malesky ging auf sie zu, zog den verschlissenen Dreispitz, schwenkte ihn und verbeugte

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