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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Mädchens gesoffen hat.«
    »Wie lange seid Ihr schon hier, Monsieur Malesky?«, erkundigte sich Jean. »Oder habt Ihr diese Märchen unterwegs gesammelt?«
    »Ich halte die Nachrichten für die Wahrheit. Ebenso, dass man die Bestie in Begleitung eines zweiten Wesens sah.« Der Moldawier lächelte auf unergründliche Weise. »Ich weiß, mein lieber Chastel, dass Ihr denkt, ich folge Euch. In Wahrheit verhält es sich so, dass ich der Bestie folge und versuche, ihre Schritte vorauszuahnen. Da wir der gleichen Beute nachstellen, treffen wir uns unentwegt.« Er deutete durch die Menge zu einem Schild, das über den Köpfen der Menschen im Wind schaukelte und den Namen eines Gasthauses verkündete: Le Calice. »Aber dieses Mal haben wir berühmte Gesellschaft. Die Dennevals sind dort abgestiegen.«
    Antoine zuckte mit den Achseln. »Ich habe keine Furcht vor den Normannen. Sie sind ebenso erfolglos wie der dumme Duhamel. Sie können meinetwegen damit angeben, dass sie in der Normandie zwölfhundert Wölfe erlegt haben. Das Gevaudan ist anders als ihre flache Heimat.« Wieder trank er den Wein ohne abzusetzen. Der Alkohol zeigte bereits seine Wirkung; fahrig schaute Antoine sich um, begaffte Mädchen und grinste ihnen anzüglich hinterher, wenn sie erröteten. »Eine so hübsch wie die andere.« Der dritte Becher wurde ihm gereicht. Als er ihn an die Lippen führte, legte sich die Hand seines Vaters auf seinen Arm und drückte ihn nach unten. »Trink langsamer«, knurrte er. »Du benötigst einen klaren Verstand. Der Wein lässt dich unbeherrscht werden.«
    Pierre wusste, was sein Vater damit meinte. Der lauernde Schatten des Loup-Garou wartete in den Brüdern auf eine gute Gelegenheit, den menschlichen Geist zu unterdrücken, auszubrechen und das Tier die Oberhand gewinnen zu lassen. Ihm, dem sanfteren der Brüder, war es in den letzten Monaten beinahe gelungen, nicht mehr durch die Gegend zu streifen und Menschen zu morden. Jedenfalls glaubte er das. Immer, wenn ihn das verhängnisvolle Fieber packte, verlor er seine Erinnerung. Aber er war lange nicht mehr mit Blut an seinen Händen und Kleidern aufgewacht.
    Das Merkwürdige war, dass ihr Vater niemals dabei war, wenn sie sich verwandelten. Alles, was er ihnen sagen konnte, war, dass sie zu Beginn ihrer Anfälle rasend schnell vor ihm davonliefen und verschwanden; später fand er sie stets in Menschengestalt vor.
    Pierre hatte den Vater schon oft gebeten, ihn und Antoine zu Hause zu lassen, im Keller einzusperren, bis die Bestie erlegt war, doch Jean hatte bislang abgelehnt. Allein wagte er nicht, es mit der gefährlichen Kreatur aufzunehmen. Sie war zu schnell, zu stark und zu schlau für einen einzigen Verfolger. Er brauchte sie, um den Loup-Garou zu jagen – wissend, dass ihre Verwandlung jederzeit einsetzen konnte. So wurde die Jagd zu einem zweischneidigen Schwert, das mehr Schaden als Nutzen bringen mochte. Aber es ging nach der Ansicht des Vaters nicht anders.
    Antoine wartete, bis Jeans Aufmerksamkeit sich auf den Markt richtete, dann stürzte er den Wein herunter und streckte Pierre die gefärbte Zunge heraus. »Die Normannen werden ebenso scheitern. Der Comte sagt das auch«, verkündete er absichtlich laut und mit rotem Gesicht. »Die Bestie ist schlauer, als ihr alle denkt.« Herausfordernd schweiften seine Blicke über die Gesichter der Umstehenden. Die Muskete auf seinem Rücken und die Hand am Knauf seiner Pistole hielten manche der Bauern davon ab, eine Erwiderung von sich zu geben.
    »Sei still, Antoine«, befahl ihm der Vater ärgerlich. »Wir suchen uns eine Unterkunft, wo du deinen Rausch ausschlafen kannst.« Er packte ihn unter dem Arm und zerrte ihn zum Gasthaus, Pierre und Malesky folgten ihnen.
    »Ganz Unrecht hat Euer Bruder nicht«, schätzte der Moldawier, während er im Vorbeigehen die Auslagen der Buden betrachtete. »Sicherlich, die Dennevals wissen von den Eigenheiten der Wölfe, aber wie Antoine anmerkte: Sie kennen sich kaum in diesem Gebiet aus. Und der Comte de Morangiès beschwert sich über sie ebenso wie über Duhamel. Damit haben die Dennevals zwei- und vierbeinige Gegner.«
    »Kennt Ihr Euch etwa aus?«, fragte Pierre skeptisch. »Versteht mich nicht falsch, Monsieur Malesky, aber Ihr habt die gleichen Nachteile wie die Normannen.«
    »Nicht ganz. Ihr kennt meine Heimat nicht, Monsieur Chastel, sonst würdet Ihr so nicht sprechen.« Das Gesicht des Mannes bekam einen verträumten Ausdruck. »Der Teil der Bukowina, aus dem ich

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