Rivalin der Götter erbin3
befand. Seine Leiche kühlte zwischen den anderen ab, die ich getötet hatte. Ich drehte mich und schaute ihn mir an. Sein Gesicht war mit einem überraschten Ausdruck unterhalb des klafenden Lochs in seiner Stirn eingefroren. Ich verspürte Bedauern. Für einen Schreiber war er kein schlechter Mann gewesen. Und ich war ein sehr ungezogener Junge gewesen.
Solange ich dafür noch Kraft hatte, entfernte ich mich von Elysium. Mir war es egal, wo ich stattdessen hinging. Ich wollte nur Trost, Schweigen und einen Ort, an dem ich in Ruhe Trübsal blasen konnte.
Ich sollte Shahar für die nächsten beiden Jahre nicht wiedersehen.
BUCH ZWEI
Zwei Beine am Mittag
I ch bin eine Fliege an der Wand – oder eine Spinne im Busch. Ist im Prinzip das Gleiche, nur: Die Spinne ist ein Jäger, und das entspricht eher meiner Natur.
Ich sitze in einem Netz, das mich sofort verraten würde, wenn er es zu Gesicht bekäme. Ich habe nämlich ein lächelndes Gesicht in die kleinen Stränge gewebt, in denen die Tautropfen wie Perlen hängen. Es ist allerdings noch nie seine Art gewesen, die Details seiner Umgebung wahrzunehmen, und das Netz ist ohnehin halb von Blättern verborgen. Mit meinen vielen Augen beobachte ich, wie Itempas, der Himmelserleuchter und Tagbringer, auf einem Hausdach aus weißgebranntem Ton sitzt und darauf wartet, dass die Sonne aufgeht. Es überrascht mich, dass er dasitzt, um das zu beobachten; andererseits überraschen mich heutzutage viele Dinge. Wie die Tatsache, dass dieses Hausdach Teil der Behausung eines Sterblichen ist. Darin befinden sich die sterbliche Frau, die er liebt, und das sterbliche – aber zur Hälfte Gott – Kind, das sie ihm geschenkt hat.
Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte es einen Tag der Veränderung im Reich der Götter gegeben. Der Hurrikan Nahadoth traf auf das Erdbeben Enefa, und beide fanden in ihrem jeweiligen Gegenüber ihren Frieden. Ein wunderschönes, heiliges Ereignis. Ich musste es wissen, denn ich hatte es beobachtet. Doch in der Ferne leuchtete der unbewegliche Berg Itempas mit seinen weißen Kappen und ging dann fort. Seitdem ist er weg.
Zehn Jahre in der Sichtweise der Sterblichen. Ein Lidschlag für uns, aber dennoch ungewöhnlich für ihn. Er schmollt nicht. Gemeinhin bietet er einem Unruhestifter die Stirn, greift ihn an und zerstört ihn, wenn er es kann. Sollte er nicht dazu in der Lage sein, geht er mit ihm eine Art Balance ein. Diesmal hat er beides nicht getan. Stattdessen floh er in dieses Reich mit seinen zerbrechlichen Geschöpfen und versuchte, sich zwischen ihnen zu verbergen. Als ob eine Sonne zwischen Streichholzflammen passen würde. Nur, strenggenommen versteckt er sich nicht. Er … lebt einfach. Ist gewöhnlich. Und kommt nicht heim.
Die Tür zu dem Hausdach öffnet sich. Das Kind kommt heraus. Merkwürdig
aussehendes Geschöpf. Mit seinem großen Kopf und den langen Beinen ist es sehr unproportioniert. Sehe ich auch so in meiner sterblichen Form aus? Ich beschließe, meinen Kopf kleiner zu machen. Er hat braune Haut, blonde Haare und Sommersprossen. Ich kann seine Augen erkennen. Von hier aus wirken sie so grün wie die Blätter, die mich verbergen.
Er ist jetzt acht oder neun Jahre alt. Ein gutes Alter, mein Lieblingsalter; man ist alt genug, um die Welt zu kennen, aber immer noch jung genug, um sich daran zu erfreuen. Ich habe seinen Namen gehört – Shinda. Die anderen Kinder in diesem staubigen kleinen Dorf haben ihn geflüstert. Sie haben Angst vor ihm. Sie spüren ebenso wie ich auf den ersten Blick, dass er zwar sterblich ist, aber nie einer von ihnen sein wird.
Er stellt sich hinter Itempas, legt seine Arme um dessen Schultern und seine Wange an das dicht gelockte Haar seines Vaters. Itempas wendet sich ihm nicht zu, doch ich sehe, wie er seine Hand hebt, um den Arm des Jungen zu berühren. Zusammen betrachten sie den Sonnenaufgang und sagen kein Wort.
Nachdem der Tag vollends angebrochen ist, bewegt sich erneut etwas an der Tür zum Hausdach. Eine Frau kommt und stellt sich dorthin. Sie ist im selben Alter wie Remath, ähnlich blond und ähnlich hübsch. In zweitausend Jahren werde ich die Hand ihrer Nachfahrin und Namensvetterin ergreifen und sterblich werden. Sie sehen sich sehr ähnlich, diese Shahar und jene Shahar – bis auf die Augen. Diese Shahar beobachtet Itempas unverwandt, ohne zu blinzeln. Ich fände das beängstigend, wenn ich es nicht schon in den Augen meiner eigenen
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