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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und ein Mann mit Korkenzieher-Schnurrbart und Melone, der sich offenbar die Nase an der Glasplatte gestoßen hatte. Die beiden sahen zuerst zu ihr und dann zu Julius, der trotzig dastand, die mächtigen Arme in all ihrer Zottigkeit auf beiden Seiten fest gegen das Glas gestemmt. »Julius!« rief sie, und ihre Stimme wurde in der durchsichtigen Kammer so verstärkt, daß ihr die Ohren dröhnten. »Hör sofort damit auf!« Darauf warf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht nach vorn, und die alte Dame und der Herr mit der Melone taten es ihr gleich, sie stemmten sich ebenfalls gegen die gläsernen Wände vor ihnen.
    Die Tür bewegte sich nicht den Bruchteil eines Zentimeters. Doch das fünfte Abteil der Tür war zur Empfangshalle hin offen, von wo jetzt ein Page, ein kräftig gebauter junger Mann, in die Bresche sprang, dem es gelang, unterstützt durch eine erneute Anstrengung von Katherine und ihren Mitgefangenen, die Drehtür gerade weit genug zu bewegen, um sich selbst ebenfalls einzusperren. Julius bleckte die Zähne und grinste sie an wie ein Pferd. Er leckte an der Scheibe. Gurrte. Blieb aber völlig ungerührt. Und ganz egal, wie wütend der junge Page und der Mann mit der verletzten Nase sich abmühten, die Tür blieb felsenfest blockiert, so unbeweglich, als wäre sie mit dem Boden verschweißt.
    Eine Menge scharte sich zusammen. Jemand rief die Feuerwehr. Nie im Leben hatte Katherine sich mehr geschämt: beide Männer und die ältere Dame erdolchten sie mit Blicken, und die zahlreichen Zuschauer, von der Putzkolonne bis zur jeunesse dorée , betrachteten sie, als wäre sie eine Zirkusattraktion, man stieß sich die Ellenbogen in die Rippen, alle grinsten, und in dem unerreichbaren Vakuum der Hotelhalle witzelten glupschäugige Fremde leise miteinander. Eine halbe Stunde lang – mindestens – ertrug sie es, sah den Feuerwehrleuten mit ihren nutzlosen Brechstangen und Julius zu, der allen Angreifern gewachsen war, dann verlor sie die Nerven, und es war ihr gleichgültig, wer dabei zusah oder wo ihre Würde blieb.
    »Julius!« kreischte sie und schlug auf das Glas ein wie eine Wahnsinnige. »Hör damit auf! Hör sofort damit auf!« Sie schluchzte. Sie wütete. Sie nahm Anlauf und trat ungestüm gegen das grinsende, unnachgiebige, uneinsichtige Hominidengesicht hinter Glas, bis ihr ein Absatz brach und sie taumelnd auf dem kleinen Fliesendreieck zu Boden ging.
    Daraufhin tat Julius etwas Merkwürdiges. Er ließ die Arme sinken, nur ganz kurz, aber lange genug, um die orangegelben Haarfransen zu teilen, die seine Genitalien verbargen, und sich zu entblößen, direkt vor ihr, nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht, legte er das längliche dunkle Organ in seinem Nest frei, die haarlosen, fleischigen Hoden, die Männlichkeit im Zentrum seines Seins, und dann, ehe irgend jemand handeln konnte, breitete er wieder die Arme aus, um erneut das Glas auf beiden Seiten zu packen und mit unbezwingbarem Griff festzuhalten.

2
    Schlicht und einfach
    Es war im Frühjahr 1916, als Dr. Brush den Platz von Dr. Hamilton übernahm. O’Kane erinnerte sich an den Tag nicht nur deshalb, weil er für Mr. McCormick und das ganze Unternehmen in Riven Rock viel bedeutete – es war nichts weniger als eine Wachablösung, und das nach so vielen Jahren –, sondern auch wegen des dichten Nebels, der an diesem Tag über dem Haus lag und sich nicht lichten wollte. Es war ein Nebel, der verwandelte, undurchdringlich und surreal umfing er alles wie die Kulisse für einen bösen Traum, so daß es O’Kane nicht gewundert hätte, wenn aus der Düsternis Geister und Kobolde hervorgetreten wären, darunter Rosaleen und ihr Vater und der schieläugige Junge, der ihn einmal mit der Nase in den Dreck gestoßen hatte, als er sechs Jahre alt war und sich vor allem und jedem fürchtete.
    Er saß mit Mart und Mr. McCormick oben im Salon, es war kurz nach dem Lunch – und Mr. McCormick hatte sehr anständig gegessen, vielen Dank, hatte sich die Serviette ohne Widerstände in den Kragen stecken lassen und mit beachtlicher Geschicklichkeit Erbsen, Kartoffeln und Hackbraten aufgelöffelt –, als man Schritte auf der Treppe hörte. Alle drei blickten zugleich auf und sahen, wie ein gewaltiges, schnaufendes Meeressäugetier von Mann sich unter dem Gewicht der Zigarre, die zwischen seinen Zähnen klemmte, die Stufen hinaufquälte. O’Kanes erster Impuls war es, laut loszulachen, doch er bezwang sich. Es war zuviel, wirklich zuviel – der Mann glich dem letzten

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