Riven Rock
Mutter zu entspannen, einem Konzert mit Weihnachtsliedern zu lauschen, in dem Innenhof, wo die Weihnachtssterne mit ihrer flammendroten Blätterpracht einfach aus der Erde wuchsen und die lächerlichen Topfpflanzen zu verhöhnen schienen, mit denen man in Boston auskommen mußte – dann aber sah sie Julius dort sitzen, die Beine lässig übereinandergeschlagen, mit erwartungsvollem Blick, und sie änderte ihre Meinung. Plötzlich wurde sie spleenig. Die schöne, intellektuelle Katherine Dexter McCormick, abgebrühte Suffragette, brillante Organisatorin, Verwalterin von Stanleys gesamtem Vermögen und ihrem eigenen obendrein, diese Frau, die sich niemals gehenließ, betrachtete jetzt dieses seltsam flehentliche, tief im Ledersitz versunkene Inbild männlichen Kummers und fühlte sich albern, beschwingt und mädchenhaft. Es war Weihnachten. Julius saß im Wagen. Was für ein Spaß wäre es doch, ihn den Leuten im Hotel vorzuführen. Immerhin, wenn’s im Dezember tropische Palmen, Paradiesvögel und Weihnachtssterne im Freien gab, dann konnte man ebensogut einen tropischen Affen haben. Vielleicht sollte sie ihm gleich noch ein Weihnachtsmannkostüm besorgen – mitsamt einem weißen Rauschebart.
Sie mußte die Fenster öffnen, nicht so weit, daß Julius seine langfingrige Hand hinausstecken konnte, um nach der Vegetation am Straßenrand oder hie und da nach einem Radfahrer zu schnappen, aber doch weit genug, um seinen recht intensiven, eigenartigen Duft zu verwehen. Er benahm sich weitgehend brav, gurrte leise vor sich hin, schleckte die Fensterscheiben mit seiner dunklen, spatelförmigen Zunge ab, überraschte ihre Hand mit seinen Fingern – er hielt gerne Händchen, wie ein kleines Kind –, und sie versank in einen Tagtraum, während die Bäume vorbeihuschten und die Sonne eine warme Decke über das Wageninnere breitete. Sie dachte an Hamilton und die Hoffnung, die er in ihr erweckt hatte – Stanley habe sich erholt, sei eindeutig über den Berg, und er als Arzt sehe die Zukunft durchaus optimistisch, vielleicht könne er ihr im nächsten Jahr sogar einen Weihnachtsbesuch gestatten, wenn nicht schon früher –, aber sie sann auch über das nach, was er am Vortag zu ihr gesagt hatte.
Es war am Nachmittag gewesen, sie war mit dem Feldstecher in der Hand unterwegs zum Hügel, als er aus der Hintertür des Hauses gelaufen kam und sie einholte. »Wegen dieses neuen Mannes, der nach Neujahr zu uns kommt«, begann er, »da wollte ich Ihnen noch sagen...«
»Was für ein neuer Mann?«
»Sie meinen, Dr. Meyer hat Sie gar nicht unterrichtet?«
»Aber nein – er hat kein Wort zu mir gesagt.«
»Aha, also in diesem Fall, tja, Sie wissen ja, wie sehr ich Ihre Hilfestellung für mich schätze, und ich werde Ihnen dafür immer dankbar sein – ich spreche von der Hominidenkolonie –, aber meine Forschungen in dieser Richtung haben ihr Potential jetzt ausgeschöpft, denke ich; es war ein großer Erfolg und eine hochinteressante Arbeit, aber ich habe nun doch das Gefühl, daß ich die Ergebnisse zusammenfassen und damit einen bedeutsamen Beitrag zu unserem Wissen über die menschliche Sexualität vorlegen kann... Also, was ich sagen will, dieser neue Mann ist ein guter Kollege, der am Pathologischen Institut sehr eng mit Dr. Meyer zusammengearbeitet hat, ein exzellenter Arzt namens Brush, Dr. Nathaniel Brush...«
»Aber Gilbert, Sie denken doch nicht daran, uns zu verlassen? Gerade jetzt, da mein Mann sich so erholt? Das wäre, das wäre ein Schlag für ihn, ja für uns alle...«
Aber Hamilton, der sich jetzt abwandte, damit sie nicht das verräterische Hüpfen seiner Pupillen sah, wich der Frage aus. »Er wird ja eine Zeitlang mit mir im Team arbeiten, damit er Mr. McCormick und den täglichen Ablauf hier kennenlernen kann, alles unter der Leitung von Dr. Meyer natürlich, und ich habe größtes Vertrauen zu Nat Brush, wirklich...«
Sie erwachte aus ihrer Träumerei, als Julius ihr plötzlich einen Hut überreichte, einen Damenhut voller Nadeln und Federn und einer kleinen, aber unverkennbaren Menge von gepflegtem brünettem Haar, das an der Wurzel ausgerissen war. Eben noch hatte sie aus dem Fenster gesehen und über Hamiltons Ausflüchte sinniert, und nun starrte sie auf diesen fremden Hut in ihrem Schoß. Es dauerte einen Moment, dann aber drehte sie den Kopf, spähte zum Rückfenster hinaus und klopfte zugleich gegen die gläserne Trennscheibe. Roscoe wendete den Wagen geschickt – es war ein neuer, eine der
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