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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hochbrauste und sich von dort in das fruchtbare Land des Santa Ynez Valley hinabschlängelte, sah O’Kane durchs Fenster auf die Welt hinaus, die in all ihrer schimmernden Unschuld dalag, für ihn ausgeschnitten wie auf einer Kinoleinwand, aber in Farbe, in lebendigen Farben. Jeder Busch entlang der Straße stand in lodernder Blütenpracht, das Laub der Bäume, die oberhalb der Windschutzscheibe dahinhuschten, war jedesmal von einer anderen Grünschattierung, und die Berge waren scharf voneinander abgegrenzt, wie mächtige, in Formen gegossene Blöcke aus Ahornsirup, genug Ahornsirup, um ganz China den Tee zu süßen. In ihm glomm der Whiskey und die Vorfreude auf das, was kommen würde, das war todsicher bei dieser Frau, allein gelassen von ihrem Ehemann, der an einem dieser Orte, die man aus der Zeitung kannte, vor irgendeinem Lagerfeuer hockte, und so lehnte er sich im Sitz zurück, horchte auf das Motorengeräusch, starrte auf die grandiose Weite der Natur hinaus, und offenbarte sich ihm in alldem etwa nicht das Antlitz Gottes, des Allgütigen Gottes und seines Sohnes, des Erlösers?
    Aber sicher doch. Und es war kein grimmiger, anklagender Gott, der sich über ihm erheben würde, um Blitze zu schleudern, die Erde sich auftun zu lassen und seinen ewigen Finger der Verdammnis auf einen Kindermörder und Ehebrecher zu richten, der da eilig zum Genuß der nächsten sündigen Fleischeslust unterwegs war... nein, nein, überhaupt nicht. Der liebe Gott lächelte, ein Lächeln so breit wie ein Fluß, so groß wie ein Baum, und dieses Lächeln verlieh O’Kane das Gefühl, als wäre eine Lampe in ihm entzündet worden. Alles würde gut werden, da war er sicher. Natürlich war er voll wie eine Haubitze, und damit mochte wohl diese plötzliche Manifestation des Schöpfers und die Empfindung von Güte und Wohlbefinden zu tun haben, die ihn von einem Atemzug zum anderen erfaßt hatte... trotzdem, so war es nun einmal, und während er in den Sitz geschmiegt neben Dolores Isringhausen saß, Whiskey in den Adern, die schräge Sonne warm auf dem kantigen Kinn, dachte er, daß er vielleicht schon gestorben sei und nun seinen gerechten Lohn bekomme.
    Es war früh am nächsten Morgen, nachdem sie sich in ihrem Schlafzimmer auf den Satinlaken zweimal geliebt hatten und das gedämpfte, geruhsame, von Zigaretten interpunktierte Raunen ihrer Unterhaltung langsam verebbt war, als er wieder an Giovannella dachte. Dolores lag neben ihm auf dem Rücken, hingestreckt wie eine von einer Klippe gefallene Puppe, ihre Brüste auf der Wölbung ihrer Rippen ausgebreitet, die Beine gespreizt. Sie rauchte, die Zigarette ragte von ihren Lippen steil empor und sandte einen Strom von Rauch senkrecht nach oben, und er strich geistesabwesend über das Haar zwischen ihren Beinen, entspannt wie ein Toter – bis auf diesen kräftiger werdenden Funken von Giovannella im Kopf.
    »Dolores?« fragte er in die Stille hinein.
    »Hm?«
    »Kennst du irgendwelche Ärzte? Persönlich, meine ich.«
    Und obwohl es bei Sonnenaufgang Sonntag war, der Tag des Herrn, und alle Gläubigen in ihre Kirchen und wieder hinaus trotteten, egal, ob es Katholiken, Protestanten oder ägyptische Hundeanbeter waren, war O’Kane unterwegs zu Giovannellas Haus, in der Tasche eine Karte aus weißem Karton, auf der Dolores Isringhausen ihm in ihrer elegant geschwungenen Mädchenpensionatshandschrift einen Namen samt Adresse notiert hatte, und als er dort war, wartete er hinter der Ecke, bis der Schuster ausgegangen war, um zu erledigen, was immer Schuster sonntags zu erledigen haben mochten. Dann sah er über die Schulter, schluckte sein Herzklopfen hinunter und stieg die durchgetretene Treppe vor dem Haus hinauf.
    Giovannella wirkte überrascht. Weder hoffnungsfroh noch zornig, nur überrascht. »Du kannst heute nicht kommen, Eddie. Guido ist nur kurz ausgegangen – er kann jede Minute zurück sein.«
    »Zum Teufel mit Guido«, sagte er, und dann war er in der Wohnung, zog die Tür hinter sich zu. Und was sah er dort als allererstes, an die Wand des Windfangs genagelt in all Seiner gekreuzigten Pein? Klar doch: da starrte ihm Christus ins Gesicht.
    »Eddie. Du mußt wieder gehen. Du kannst nicht...«
    »Ich hab was für dich«, sagte er und hielt ihr die Karte entgegen.
    Ihre Miene war ausdruckslos. Er sah ihren konzentrierten Blick, die sich öffnenden Lippen, und da, die Zungenspitze kam hervor. Sie war keine, die viel las. »Cy... rose?... Brown«, stückelte sie zusammen,

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