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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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einen Weg zu ihm, der Arzt war leicht gerötet und gut gelaunt und hielt Mart gerade einen Vortrag darüber, warum etwas schlicht und einfach war, wie es war. »Eddie!« rief er, und schon schlang sich ein mächtiger Arm um O’Kanes Schulter, ein Arm so schwer wie eine Pythonschlange, und O’Kane roch die Fahne des Doktors. »Und, sorgt man hier gut für Sie?«
    »Ja, klar.« O’Kane hob sein Glas zum Mund, den Whiskeyduft stechend in der Nase, und tat so, als wäre er ein Perlentaucher.
    »Ihr Jungs seid schwer in Ordnung«, dröhnte Brush und quetschte Marts Schulter mit dem anderen Arm, drückte auf ihnen herum wie auf preisgekrönten Räucherschinken. »Hören Sie zu, Eddie. Ich will Ihnen das mal sagen, schlicht und einfach aus dem Grund, weil Gladys findet, daß Sie ein Goldstück sind. Und da stimme ich ihr zu.«
    O’Kane sah Mart an. Der hielt sich an einem Drink fest, er wirkte schwerfällig und benommen. Für ihn mußte es ziemlich ungewohnt sein, aus seiner Mönchszelle im Hauptgebäude in so etwas hineinzugeraten.
    »Hören Sie mal. Ganz unter uns, weil wir Freunde sind und, äh, gemeinsame Angestellte von Mr. McCormick. Also, Ihnen ist vielleicht aufgefallen, daß meine Frau ein bißchen, wie soll ich sagen – erregbar ist? Keine Sorge. Sie war früher mal Patientin. Meine Patientin, um genau zu sein. Eine gescheite Frau, wirklich ein kluger Kopf...«
    O’Kane, dem im Griff des Arztes langsam ungemütlich wurde, sah zu Mrs. Brush hinüber, die immer noch bei dem Zahnarzt stand, ihr Gesicht pausenlos durch alle Permutationen jagte, und am Ende jeder Sequenz entblößte sie die Vorderzähne wie ein Kaninchen. Besonders gescheit wirkte sie nicht. Statt dessen erinnerte sie ihn verdächtig an einige der Verrückten, die er im McLean gesehen hatte.
    »Sie leidet am Tourette-Syndrom«, erklärte der Arzt. »Das ist keine Form des Irreseins, keineswegs, nur eine Schwäche. Eine moralische Schwäche, eigentlich. Und wir arbeiten daran, das tun wir. Sehen Sie, ihr Verstand rast ihrem Körper weit voraus, wie ein Automobil bei voll durchgetretenem Gashebel im Leerlauf, und das verursacht ihr alle möglichen Peinlichkeiten, schlicht und einfach aus dem Grund, daß sie es einfach nicht beherrschen kann... aber in Wirklichkeit ist sie nicht verrückter als Sie oder ich, nicht im Inneren, und ich, äh, ich war Ihnen wirklich dankbar, als Sie ihr da vorhin den Arm gereicht haben, Eddie, das war nobel von Ihnen.«
    In diesem Augenblick betrat Dolores Isringhausen den Saal, begleitet von ihrer Freundin mit dem nichtssagenden Lächeln und zwei Männern mit bleistiftdünnen Schnurrbärtchen und vor Pomade glänzenden Haaren. Oder nein, sie betrat ihn nicht – sie tänzelte herein, schwang ihre korsettlosen Hüften von einer Seite zur anderen wie eine Bauchtänzerin, und sie schaffte es, daß jede Frau im Raum, selbst Katherine, aussah wie die Nachrichten von gestern. Drei Jahre später würde sich jede Frau in Amerika so anziehen wie sie – oder es zumindest versuchen –, nur natürliche Linien, lange Beine, jungenhafte Figur, mit einem Hut wie ein Eichelnapf und stark geschminkten Augen, jetzt aber hatten sie die Bühne ganz für sich allein, sie und ihre Freundin. O’Kane war elektrisiert – damit hatte er nicht gerechnet –, und zwei Gefühle überfluteten jetzt sein System mit Drüsensekretionen, die ihn ebenso zucken ließen wie Mrs. Brush: Lust und Eifersucht. Wer waren diese Männer, von denen einer die Hand an ihrem Ellenbogen hatte?
    Im nächsten Moment durchquerte er den überfüllten Saal, ganz Montecito war anwesend, samt Juwelen, Pelzmänteln und Krawatten, und keiner sorgte sich darüber, daß der angebliche Gastgeber dieser Party im Hauptgebäude eingesperrt saß, in seinem Zimmer mit den Eisengittern am Fenster, nicht im geringsten, und eigentlich war es ein kleines Wunder, daß er selbst überhaupt hier war. Natürlich, den Film hatte er schon am Nachmittag mit Mart und Mr. McCormick gesehen, trotzdem mußte er sagen, daß es von Katherine – und Brush, nahm er an – anständig war, zu diesem Fest auch die Pfleger einzuladen. Heute abend waren Millionäre und Industriekapitäne hier, und er stand hautnah neben ihnen, und nicht als irgendein Stiefelknecht oder Tellerwäscher – er war außer Dienst, ein Gast wie jeder andere. Das war schon etwas, und er wußte und genoß es, und er nahm sich vor, die allerbesten Manieren an den Tag zu legen, der lächelnde Eddie O’Kane, immer zur Stelle mit

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