Riven Rock
er keinen Wagen besaß, in dem er sie herumfahren konnte. Er mochte es nicht, wenn sie fuhr – es war irgendwie nicht richtig. Davon bekam er immer ein komisches Gefühl, so als wäre er nur ein halber Mann, ein Krüppel oder so, und er wollte nicht, daß irgend jemand ihn sah, wie ein Trottel auf dem Beifahrersitz hockend und eine Frau am Steuer. Tatsache aber war, daß er kein Automobil nötig hatte, nicht wenn ihn Roscoe sechs Tage die Woche nach Riven Rock und wieder zurück kutschierte und in Santa Barbara alles zu Fuß oder per Straßenbahn zu sieben Cent die Fahrt erreichbar war. Er sparte sein Geld lieber, weil er nicht vorhatte, sein Leben lang als Pfleger zu arbeiten, und so ein Wagen kostete nur Geld, wenn man den Preis fürs Benzin, die Reifen und Reparaturen bedachte, und wie oft hatte er Roscoe bis zu den Ohren schwarz von Schmiere gesehen? Heute abend aber könnte er wirklich einen Wagen gebrauchen – irgendwas, sogar eine dieser Tin Lizzies von Ford, bei denen man sich den Arm abkurbeln mußte –, um bei Dolores’ Haus vorzufahren und ein paarmal auf die Hupe zu drücken, und er fühlte sich billig und schäbig und wollte gerade zu Menhoff gehen, um sich ein wenig aufzumöbeln.
Da sah er Giovannella. Sie stand vor dem Gemüseladen auf der anderen Straßenseite, beugte sich vor, um die Tomaten zu begutachten, und neben ihr, in einem Kinderwagen von der Farbe eines Fledermausflügels, war das Baby. Guido war nirgends zu sehen. O’Kane blickte in beide Richtungen und über die Schulter, um sicherzugehen, daß ihn niemand beobachtete, dann überquerte er die Straße und stellte sich neben sie, nur ein Gesicht in der Menge, und er drückte tatsächlich am Obst herum wie eine wählerische Hausfrau, während er in den Kinderwagen spähte und die winzigen Gesichtszüge musterte, eingeschrumpelt wie eine vertrocknete Pfütze, die fest geschlossenen Augen, ein rüschiges blaues Häubchen über die unsichtbaren Augenbrauen gezogen. Aber die Haut – die feisten, geballten Fäuste, das schrumplige Gesicht – hatte dieselbe Farbe wie Giovannella, war Giovannella pur und unverfälscht, Zimt auf Toast, sizilianischer Lehm. Oder Erde. Sizilianische Erde.
Giovannella hatte ihn jetzt bemerkt, sie blickte von ihren Tomaten auf, die Wilson, der dickarmige Gemüsehändler, auf seiner silbernen, schaufelartigen Waage für sie abwog, und starrte ihn aus ihren höllenschwarzen Augen an. Sie zog die Mundwinkel nahezu unmerklich nach oben. »Er ist wunderschön, mein Kleiner, stimmt’s, Eddie?«
O’Kane sah zu Wilson, und Wilson wußte es, jeder wußte es. Außer vielleicht Guido. »Ja«, sagte er, »sicher«, und er fühlte sich vollkommen benebelt, so als wäre er beim Zahnarzt gewesen und hätte das betäubende Gas so tief eingeatmet, daß sein Verstand dahinschwand.
Oho, und jetzt grinste sie wirklich, der Mund ging weit auseinander, ihre Zähne blitzten weiß auf in der Sonne. »Und weißt du, wie wir ihn genannt haben, Eddie? Na?«
Er hatte keine Ahnung. Er sah wieder zu Wilson, und Wilson sah beiseite.
»›Guido‹, Eddie. Wir haben ihn ›Guido‹ genannt. Nach seinem Vater.«
Und wie fühlte er sich da? Erleichtert? Dankbar? Froh, daß er nicht noch ein weiteres Kind gezeugt hatte, dem er als Vater ein Fremder blieb? Nein. Er fühlte sich verraten. Er verspürte Wut. Eifersucht, heiß und elektrisierend, als wäre ein Draht in seinem Inneren gespannt, von seinem Schwanz zum Gehirn, und die Stromstärke voll aufgedreht. Wilson verschwand hinter seinen Melonen und Kürbissen. Eine Frau in einem Filzhut, dessen Schwarz zu Grau verblichen war, beugte sich über die Radieschen und ging dann den Gang entlang in die kühle Tiefe des Ladens. Er sah Giovannella scharf an. »Was sagst du da?«
Das Baby hätte ebensogut aus Holz geschnitzt sein können – es lag still in seinem Wagen, in sich versunken. Giovannella schob sich die braune Papiertüte mit den Tomaten unter den Arm und musterte ihn kaltblütig. »Du bist ein toller Hecht, was, Eddie? Immer so selbstsicher – stimmt’s? Der große Hengst und Frauenheld.« Sie biß sich auf die Lippe und blickte sich rasch um, ob irgend jemand sie belauschte. Er war verwirrt, trieb hilflos auf hoher See, die Sonne warf Schatten quer über die Straße, und der Gehsteig schimmerte, als wäre er regennaß. Was wollte sie nur von ihm? Was war das Problem?
Und dann, als läge es mitten auf der Bühne und hätte nur auf ein Stichwort gewartet, erwachte das Baby und
Weitere Kostenlose Bücher