Riven Rock
O’Kane hörte es von Baldy Dimucci, der Zigarren verteilte, als wäre er selbst der stolze Vater, und kein Wort fiel mehr wegen der Sache vor acht Jahren – und auch neueren Vorkommnissen. Oder war da doch ein Groll? Als er eines sonnenwarmen Nachmittags kurz vor Halloween zum Mittagessen hinunterging, war der alte Dimucci zu ihm in die Küche gekommen. O’Kane hatte am Morgen seinen Lieferwagen in der Einfahrt gesehen (keine Eselskarren mehr für Baldy: er war wohlhabend geworden, Besitzer einer gutgehenden Gärtnerei und eines nagelneuen Ford-Lasters) und sich darüber gewundert, den Zusammenhang zu Giovannella und ihrem Baby aber nicht hergestellt, bis Baldy durch die Küchentür trat, etwas unsicher auf den Beinen und nach Rotwein und Zigarrenrauch riechend. »He, Eddie«, sagte er, während Sam Wah mürrisch am Herd stand und O’Kane seine Suppe löffelte, »hast du schon gute Nachricht gehört?«
»Gute Nachricht? Nein, was denn für eine?«
Der alte Baldy kam auf ihn zu, das Gesicht von wilden Furchen durchzogen, die Augen leuchtend vom Wein, auf den Lippen ein breites Knoblauchfressergrinsen. »Giovannella«, sagte er, und er war gar nicht so betrunken, wie er wirkte, »Giovannella und mein Schwiegersohn, sie haben Baby gekriegt.«
O’Kane blinzelte nur. Er fragte nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, ob es blonde Haare hatte oder ob eines seiner grünen irischen Augen mit einer haselnußbraunen Glücksuhr verziert war, denn all das wußte er bereits, und von diesem Wissen wurde ihm übel und schwindlig, als zöge man ihm den Boden unter den Füßen weg. Daher sagte er gar nichts, entbot keine Gratulationen oder guten Wünsche für die junge Mutter – er blinzelte nur.
»Hier«, sagte Baldy, der in seinem besten Anzug vor ihm stand, das Hemd vom Wein befleckt, »nimm dir eine Zigarre.«
O’Kane ging nach der Arbeit direkt zu ihrer Wohnung, wagte sich aber nicht hinauf, weil dort oben ein gewaltiges rotweinseliges, akkordeonbeschwingtes, pastakochendes Itaker-Tohuwabohu herrschte und überall auf den Treppenstufen lärmende und lachende Menschen saßen. Und als es ihm zwei Tage später gelang, sich hinaufzuschleichen, öffnete ihm nicht Giovannella die Tür, sondern eine große, wuchtige Statue von Frau, die mit ihr zwar die Nase und die Augen, aber sonst nichts gemein hatte. Das war ihre Mutter, kein Zweifel. Sie sagte etwas auf italienisch, und er versuchte, an ihr vorbei in das vertraute Zimmer zu spähen, doch sie füllte das ganze Bild aus und wiederholte, was immer sie gerade gesagt hatte, als sie ihn mit offenstehendem Mund auf dem Treppenabsatz erblickte. »Giovannella«, sagte er, das einzige italienische Wort, das er kannte, aber die Frau ließ sich davon nicht beeindrucken. Eine bebende, blaugeäderte mütterliche Hand fuhr zu dem Kreuz an ihrem Hals, als wollte sie ein schleichendes Unheil abwehren, während die andere die Tür gepackt hielt, um ihm den Weg hinein zu versperren, und in dem Augenblick, bevor sie ihm die Tür mit einer Wucht ins Gesicht knallte, die den morschen Treppenaufbau bis in seine verfaulten Stützpfeiler erzittern ließ, hörte er das Baby weinen, ein einziger, gellender Schrei, der ihm wie eine Anklage in den Ohren klang.
Als er endlich doch einen Blick auf Giovannellas Baby erhaschte – auf seinen Sohn, seinen zweiten Sohn, und er ein Fremder für beide –, da war es an dem Tag, als Dolores Isringhausen aus New York zurückkehrte, um ihre Villa für den Winter zu beziehen. Es war ein Samstag, und als er von seiner Schicht heimkehrte, wartete im Flur der Pension von Mrs. Fitzmaurice ein Brief auf ihn. Das fliederfarbene Kuvert duftete nach ihrem Parfum und war nur mit einem schlichten »Eddie« beschrieben. Er riß es unverzüglich auf, mitten im Gang und vor dem alten Walter Hogan, der ihn aus blutunterlaufenen Augen beobachtete. »Bin gestern abend eingetroffen«, las er, »und ich langweile mich jetzt schon. Ruf mich an.« Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, mit ihrem Namen zu unterzeichnen.
Er rief sie an, und ihre Stimme schnurrte in seinem Innern, bis es sich anfühlte, als wären ihm an sämtlichen Nervenenden feine Härchen gewachsen, und er stellte sie sich vor, wie er sie zuletzt gesehen hatte, in einem japanischen Kimono mit nichts darunter. »Hier Eddie«, sagte er, und sie packte ihn sofort mit ihrem katzenkralligen Flüsterton: »Warum rufst du erst jetzt an?« Sie verabredeten sich zum Abendessen, und er ärgerte sich, weil
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