Riven Rock
schwarzbärtigem zu Dr. Hochs graubärtigemGesicht. Dr. Meyer schien er zu kennen, und das war gut und schön, doch Hoch blieb ihm offenbar ein Rätsel. Seine Augen zeigten irgend etwas – ein Funken des Wiedererkennens? Angst? Verwirrung? –, doch O’Kane konnte es nicht entziffern.
»Vielleicht sollte ich Ihrem Gedächtnis nachhelfen«, fuhr Dr. Meyer fort und federte auf den Fußsohlen, als wollte er gleich ein akrobatisches Kunststückchen aufführen. »Sie erinnern sich doch noch, daß Dr. Hoch Sie im Jahr 1907 einmal untersucht hat, als Sie ein Gast im McLean waren, aber eventuell haben Sie es ja vergessen, weil es Ihnen damals nicht so gut ging wie heute, ja?«
Dr. Hoch trat vor, ein mickriger Bursche in einem formlosen grauen Anzug, der sich Schnurr- und Backenbart so lange hatte wuchern lassen, daß sie ihm bis auf den Kragen herabhingen und völlig den Hals verdeckten. Seine Narbe blitzte im Morgenlicht auf wie ein Rinnsal aus getrocknetem Speichel oder wie die Spur, die eine Nacktschnecke auf einem Stein hinterläßt, silbrig und kaum merklich schimmernd. »Wie geht es Ihnen, Mr. McCormick?« fragte er mit einer angedeuteten Verbeugung, und er streckte die Hand nicht aus, bis Mr. McCormick ihm automatisch seine reichte. »Es ist mir ein großes Vergnügen, Sie wiederzusehen, ja?« Sein Akzent war noch stärker als Meyers.
Mr. McCormick hielt Dr. Hochs Hand lange Zeit fest – so lange, daß O’Kane schon überlegte, ob er dazwischengehen und seinen festen Griff lockern sollte –, und zweimal hob er die freie Hand, wie um die Narbe im Gesicht des Arztes zu berühren, doch er ließ sie jedesmal wieder sinken. »Aha«, sagte Dr. Hoch schließlich, »wie ich sehe, interessieren Sie sich für meine Narbe, ja?«
Mr. McCormick ließ die Hand des Doktors los und hüpfte ein wenig herum, stampfte mit den Füßen auf und schüttelte die Hände, als wären sie naß, bevor er sie verlegen in die Hosentaschen steckte. Er baute sich vor dem Arzt auf, der nicht viel größer als einszweiundsechzig oder einsdreiundsechzig sein konnte. Offenbar wollte er etwas sagen, biß sich dann aber auf die Zunge, starrte Dr. Hochs Gesicht an und sah fasziniert zu, wie Hoch mit der Fingerspitze die Narbe nachfuhr.
»Das hier«, sagte Hoch, »nennen wir in Deutschland einen Schmiß. Von einem Duell aus meiner Studentenzeit. Sehen Sie, es galt als kosmetische Attraktion für die Damen, als ein Zeichen der Männlichkeit, vielleicht auch als Ehrenmal, aber natürlich war das damals alles Narretei, die Eitelkeit der Jugend, und ich weiß auch gar nicht, ob die heutigen Studenten diesen – wie sagt man, ›Ritus‹? – noch pflegen.« Und dann sagte er etwas auf schnellfeuerdeutsch zu Meyer, der ebenso rasch zurückbrabbelte.
»Ach so. Herr Doktor Meyer sagt mir soeben, daß dieser Brauch nicht mehr so häufig praktiziert wird wie ehedem.« Er starrte zu Mr. McCormick auf, wie ein Gnom im Wald zu einem Riesen – und Mr. McCormick war ein Riese, trotz seiner gekrümmten Schultern, die ihn manchmal geradezu gebückt wirken ließen, je nach der Härte der Bestrafung, die seine imaginären Richter ihm auferlegten. »Möchten Sie sie gerne anfassen?« fragte der Arzt, und seine Augen funkelten.
Und Mr. McCormick, der körperlichen Intimitäten keinesfalls zugeneigt war und während der ganzen Zeit, die O’Kane ihn kannte, außer im Zorn noch nie jemanden berührt hatte, hob tastend die Hand, um Dr. Hochs Wange mit zwei bebenden Fingern zu erforschen. Wieder und wieder fuhr er den Bogen der Narbe nach, sehr behutsam, so als ob er eine Katze streichelte. Es war ein seltsamer Anblick: Mr. McCormick streichelte den Doktor, der sich der Berührung fügte, im Zimmer war es so still, daß man hätte meinen können, sie wären in einer ägyptischen Grabkammer eingeschlossen. Mr. McCormick sah aus, als wollte er etwas sagen, die Lippen zuckten stumm, ehe er seine Stimme fand. »Dann ist es – ist es«, stammelte er, zog die Hand wieder weg und steckte sie in die Tasche, »ist es also doch möglich.«
»Möglich?« Dr. Hoch stand reglos da, nur Zentimeter vor ihrem vornübergebeugten, zitternden Arbeitgeber entfernt, und sah ihm unverwandt in die Augen. Dr. Meyer sah O’Kane fragend an, doch O’Kane war ebenso verblüfft. Das war etwas Neues, das mit dem Anfassen, und man mußte abwarten, was daraus wurde.
»Ein... ein Mann zu sein«, sagte Mr. McCormick, und dann gab er eine seiner Nonsense-Formeln zum besten: »Ein-Schlitz,
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