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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gewöhnen zu müssen –, das war, wie wenn sich ein Zuchthäusler in Einzelhaft in die Maus verliebt, die seine Zelle mit ihm teilt, oder ein Galeerensklave das Gefühl des Ruders in seiner Hand schätzen lernt.
    Jetzt aber erzählte Mr. McCormick etwas über Schnittwunden, und wieder schlich sich sein Singsang hinein: »Ein-Schlitz, ein-Schlitz, ein-Schlitz.« Dann sagte er: »Ich könnte mich auch schneiden. B-beim Rasieren. In den Hals. Schon mal daran gedacht?«
    Sie erwiderte irgend etwas, ein kaum hörbares mechanisches Krächzen. Das Feuer knisterte. Mart streckte sich, und etwas in seinen Schultern knackte.
    »Du bist in Washington!« rief Mr. McCormick auf einmal. »Mit anderen M-Männern! Du bist ganz allein in Washington, stimmt’s? Ich weiß, daß es so ist, und hast du auch gehört, was S-Scobble mit seiner Frau angestellt hat, oder – oder beinahe angestellt hat, weil sie... weil sie ihm UNTREU war?« Die letzten Worte brüllte er so laut heraus, daß der Doktor zusammenfuhr und O’Kane sich beherrschen mußte, um nicht aufzuspringen und nervös im Zimmer herumzugehen.
    Sie antwortete ihm etwas, versuchte ihn zu besänftigen: Aber Stanley, das weißt du doch besser...
    »Weißt du es?«
    Schweigen am anderen Ende. Offenbar wußte sie es nicht.
    Und dann, mit ebenso gelassener wie klarer, fester Stimme, zitierte er ein zotiges Gedicht:
    Auf sein untreues Weibstück schlägt Scobble wild ein,
Und droht mit dem Messer zu bereiten ihr Pein.
»Nein, lieber Scobble, du darfst mich nicht stechen –
Ein Schlitz reicht aus zum Ehebrechen.«
    Dann blieb er reglos lange Zeit mit dem Telephon in der Hand stehen, und ob Katherine darauf etwas antwortete oder nicht, erfuhr O’Kane niemals, denn ihm fiel gerade das Herz in die Hose und seine Augen brannten auf einmal, als hätte er Ätznatron darin. Er hatte nie viel darüber nachgedacht, daß Mr. McCormick hier in seinem Elfenbeinturm eingesperrt und sie dort draußen in der weiten Welt war, aber natürlich war sie ihm untreu, wie konnte es anders sein, Eisprinzessin oder nicht? Es ging schon gut zwölf Jahre so. Und wie konnte irgendeine Frau so lange ohne auskommen?

5
    Die Hochzeit des Jahres
    Als Katherine seinen Antrag ausschlug, ihm praktisch ins Gesicht lachte an jenem regnerischen, zähflüssigen Abend im September, an dem die Pferde stumpfsinnig durch die Straßen trappelten und die Uhr das Verhängnis in seinen Ohren dröhnen ließ, stand Stanley auf, verbeugte sich knapp und stürmte zur Tür, taub für ihr Rufen und Flehen. »Stanley, was tust du da?« schrie sie und sprang entsetzt auf. »Ich habe doch nur... ich dachte, wir wären...« begehrte sie auf und rannte ihm nach, er aber zögerte keinen Moment, nicht einmal um Hut und Mantel zu nehmen, sondern raste die Treppe hinunter und hinaus in den Regen. »Stanley!« rief sie ihm nach, ihre Stimme hallte im Treppenhaus und auf der Straße wider. »Sei vernünftig! Du mußt mir Zeit lassen!«
    Er hörte sie gar nicht. Er rannte, das feuchte Haar klatschte ihm ins Gesicht, sein Kragen saß schief, sein Hemd war vollkommen durchnäßt, er rannte den ganzen Weg bis zu seinem Hotel, die Arme arbeiteten heftig, die Ellenbogen teilten links und rechts aus, und seine Augen blitzten. Passanten traten unter den Hauben ihrer Regenschirme zurück, die aussahen wie welke Pilze, Kutschen wichen ihm aus, Straßenköter kläfften ihm hinterher. »Passen Sie doch auf!« knurrte jemand, und ein Polizist rief ihm etwas nach, doch er achtete nicht auf sie. Er spürte weder das Kopfsteinpflaster unter den Füßen noch die Regentropfen im Gesicht, roch nicht die satte Nässe der alten Mauern oder den Scheunenduft des Pferdedungs in den Rinnsteinen, nahm nicht wahr, wie die Nacht sich um die Laternen ballte, als wollte sie sie ersticken.
    Sie hatte ihn verlacht. Hatte sich geweigert, ihn ernst zu nehmen. Das Ganze in einen Witz verdreht. Aber warum auch nicht? Er war ein Narr, ein dummer Tölpel, der allerunwahrscheinlichste Bewerber, nicht halb so sehr Mann wie Butler Ames einer war. Was hatte er sich nur gedacht? Eine Frau wie Katherine konnte doch unter allen Männern der Welt auswählen, und wie hatte er annehmen können, sie würde sich dazu herablassen, einen wie ihn überhaupt in Betracht zu ziehen?
    Der Portier am Empfang sah ihn verschreckt an, als er regendurchnäßt, hutlos und in wildäugiger Hektik durch die Tür stürmte. »Fehlt Ihnen etwas, Sir?« fragte er, brüllte es ihm praktisch zu, und auch ein Page

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