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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ein-Schlitz, ein-Schlitz.«
    »Ja, ja, das ist möglich«, sagte Dr. Hoch. Sein Gesicht war ein Netz aus feinen Fältchen, gerafft und geballt um diesen einen gewaltigen silbrigen Schmiß, und er stellte keine Fragen über Mutter oder Vater, dröhnte keine Platitüden heraus – er wartete einfach nur ab.
    »Mit einer Rasierklinge, meine ich.« Mr. McCormick stand jetzt aufrecht und blickte sich im Zimmer um, als sähe er es in einem neuen Licht. »Wenn, wenn Eddie und Mart mich rasieren, dann ist das gefährlich, wenn man sich schneidet, aber es kann, man kann...«
    Der kleine Doktor nickte. »Das stimmt«, sagte er.
    »Ich meine... was ich meine, ist – wenn ich mich hier schneide« – er berührte nochmals die Narbe des Arztes –, »dann, dann würde es bald verheilen, und i-ich hätte auch so eine Narbe.« Er wippte auf den Fersen. »Aber hier«, sagte er und fuhr sich dabei mit dem Zeigefinger über die Kehle, »hier ist es sehr... gefährlich. Und hier« – er zeigte nach unten –, »hier ist man dann kein... kein Mann mehr.«
    »Aber Mr. McCormick«, mischte sich O’Kane ein, »wir benutzen immer einen Sicherheitsrasierer, das wissen Sie doch...«
    Hoch sah Meyer an. Meyer sah Hoch an. Mr. McCormick richtete sich auf, bis seine Schultern völlig gerade waren und er ein Musterbeispiel guter Haltung abgab. Er wartete, bis er sicher sein konnte, O’Kanes Aufmerksamkeit zu haben, und die der beiden Ärzte ebenso, dann sagte er mit klarer, fester, unerschütterlicher Stimme: »Ja, Eddie, ich weiß.«
    Soso. O’Kane war beeindruckt – und all das wegen einer Narbe –, dachte aber nicht weiter darüber nach, während der Sommer in den Herbst überging, das Kriegsgeschehen jede Unterhaltung beherrschte und Giovannella allmählich wieder wärmer und netter und zugänglicher wurde und sich an den Samstagnachmittagen davonstahl, um mit ihm auf einer Matratze in der Garage hinter Pats Haus herumzukugeln, während das Baby seine Rassel schwenkte und mit Beinchen und Ärmchen strampelte. Der Schmißträger, Dr. Hoch, ging inzwischen sehr geduldig mit Mr. McCormick um – kein dummes Zeug wie diese Redekur –, er blieb den ganzen Tag lang bis in den Abend bei ihm, widmete ihm mehr Zeit als O’Kane oder Mart oder sonst irgendwer in Riven Rock. Meistens saß er einfach nur neben Mr. McCormick, leicht zerzaust und onkelhaft, las ihm dann und wann etwas Interessantes aus einem Buch oder einer Zeitschrift vor, ging mit ihm zum Theatergebäude hinüber und zurück oder begleitete ihn auf seinen Spaziergängen. Manchmal hockten die beiden stundenlang beisammen und sprachen kein Wort, dann wieder war Mr. McCormick geradezu schwatzhaft und plapperte immer wieder über die Mähmaschine – »das Erntewunder« nannte er es, nach irgendeinem Buch über seinen Vater –, über seine zwei Brüder und die schreiende Notwendigkeit von Wohlfahrtseinrichtungen und Reformen in dieser kalten, hartherzigen Welt.
    Sie sprachen auch über den Krieg, und das war einigermaßen seltsam, in O’Kanes Augen jedenfalls, denn da saßen ein amerikanischer Millionär und der Prototyp des Hunnen Seite an Seite beieinander, doch sie gerieten nie in Streit oder wurden auch nur laut bei dem Thema, nicht daß O’Kane sich erinnerte. Die Kriegsnachrichten tröpfelten den ganzen Winter hindurch nach Riven Rock, oft mit mehrtägiger Verspätung, über die Zeitungen von Chicago, Los Angeles und Santa Barbara, und in diesen Blättern fanden sich auch Neuigkeiten über Katherine. Sie war dieses Jahr – 1917 – und auch das nächste über in Washington, wo sie Mitglied des vom Präsidenten handverlesenen Frauenausschusses für Landesverteidigung war, der sich mit allen möglichen Angelegenheiten in Zusammenhang mit dem Krieg beschäftigte, ob es nun darum ging, Frauen zum Verkaufen von Kriegsanleihen einzuteilen oder sich diese patriotischen Plakate auszudenken, die man überall sah. Ungefähr einmal im Monat schickte sie Mr. McCormick detaillierte Karten der Westfront, auf denen sämtliche Kampflinien und Schützengräben eingezeichnet waren. Diese studierte er stundenlang, gab Kommentare über Orte ab, die er während seiner Flitterwochen besucht hatte, und malte allerlei lustige Figuren hinein, die Armeen, Geschützstellungen oder Marine-, Kavallerie- und sogar Luftwaffeneinheiten darstellen sollten.
    Eine Zeitlang, besonders im Sommer und Herbst des folgenden Jahres, gehörte der Krieg zu seinen liebsten fixen Ideen, in die er nicht nur Dr. Hoch,

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