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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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mit dem Finger schnippen konnte –, doch nachdem er sich ein neues Paar Stiefel so ruiniert hatte, daß er sie wegwerfen konnte, und eine Woche lang seinen Schnaps in einer Chinesenkneipe bestellen mußte, weil bei Menhoff der Schlamm fünfzehn Zentimeter hoch stand und die Stuhlbeine hinaufkroch, reichte es auch ihm langsam. Es regnete immer weiter, und jeder empfand es als Belastung, sogar Mr. McCormick, der verkündete, er werde noch verrückt, wenn er nicht bald die Sonne sähe. Es war eine Prüfung, eine echte Prüfung, aber der Regen ließ dann den Frühling nur um so süßer erscheinen, und im März war es kaum zu glauben, daß ein einziger Tropfen gefallen war oder je wieder fallen würde.
    Dolores Isringhausen fuhr zurück nach New York, am Morgen nach dem St. Patrick’s Day (den sie nicht mit O’Kane verbrachte), Giovannella wurde allmählich wieder nett zu ihm und ließ ihn sogar ein paarmal ins Haus, wenn Guido nicht da war, damit er das Baby von nahem bewundern konnte, allerdings ohne Küssen und ohne Anfassen, und auch Mr. McCormicks Zustand besserte sich so sehr, daß er zumindest fünfzig Prozent der Zeit mehr oder weniger vernünftig war – obwohl Dr. Brush nicht mehr aktiv intervenierte, sondern nur wieder strikt beaufsichtigte. Oder vielleicht gerade deshalb. Man sollte den Mann einfach in Ruhe lassen, so lautete O’Kanes Philosophie – wenn er zwei Stunden lang duschen wollte, dann sollte er es tun dürfen. Warum auch nicht? Schließlich mußte er keinen Zug erwischen.
    Und dann wurde es Juni, und Dr. Brush, mit all seinen einhundertachtundvierzig Kilo, erhielt die Einberufung zum Dienst für das Vaterland hinter den Frontlinien beim US -amerikanischen Expeditionskorps in Europa. Er ließ seine Frau mit einer Cousine (ihrer) im Haus in der Anapamu Street zurück, führte ein längeres Gespräch mit Mr. McCormick über Pflicht, Patriotismus und Kriegsführung, dann machte er sich auf den Weg zum Bahnhof, das einzige Mitglied des McCormick-Therapieteams, das zum Wehrdienst einberufen wurde. Sie stationierten ihn in England, und O’Kane stellte ihn sich vor, wie er morgens ein englisches Frühstück mit zwei Kannen Tee hinunterspülte und sich anschließend im Schatten der Ulmen zu einem Haufen einbeiniger Veteranen mit Grabenkoller setzte und sie fragte, ob ihre Väter sie verprügelt hätten.
    Wie sich herausstellte, sollte Brush knapp über zwei Jahre lang fort sein, und obwohl er nicht allzuviel zustande gebracht hatte, soweit O’Kane die Sache beurteilen konnte, höchstens per Zufall, bestanden die McCormicks – und Katherine – auf einem Ersatzmann, und zwar dem besten, der für ihr Geld zu haben war. Oder zu mieten. Dr. Meyer nahm persönlich den weiten Weg auf sich und brachte den Interimsarzt mit, einen Dr. August Hoch, der ihm als Leiter des Pathologischen Instituts von New York nachgefolgt war. Hoch war Deutscher, ein Kraut – bis auf Hamilton und Brush waren diese Seelenklempner anscheinend alle Krauts, denn die hatten die Seelenklempnerei ja erfunden. Nur gab es im Land zu dieser Zeit eine Menge antideutscher Gefühle, begreiflicherweise, und das erleichterte es O’Kane nicht gerade, sich bei Menhoff an der Bar wohl zu fühlen, da jedermann in der Stadt wußte, daß ihm ein Kraut die Befehle gab. Einmal in einem Imbiß mußte er sogar mit einem Typen den Boden aufwischen, der Dolores Isringhausen ein Hunnenweib genannt hatte, dabei war die Ironie der Geschichte, daß sie gar keine Deutsche war – mit Mädchennamen hieß sie Mayhew.
    Aber Dr. Hoch war in Ordnung. Er war ein scharfsinniger alter Knacker mit grauem Backenbart und einer dünnen weißen Narbe, die einen häßlichen Bogen von knapp unter seinem linken Auge zum Drehpunkt seines Kiefergelenks beschrieb. O’Kane war an dem Tag dabei, als Meyer und Hoch zu Mr. McCormick hineinmarschierten, der gerade von seinem Morgenspaziergang zurückkehrte – einer gewundenen, vielfach verästelten Route zu den Indianergründen und wieder zurück. Mr. McCormick stand allein in der Ecke und hielt eine private Konferenz mit seinen Richtern ab, und Dr. Meyer, den Mr. McCormick von den halbjährlichen Besuchen gut kannte, ging schnurstracks auf ihn zu und sagte, er wolle ihm gern jemanden vorstellen. »Oder«, fügte er hinzu, mit einem Akzent so dick wie Melasse, »vielleicht erinnern Sie sich noch an ihn, ja?«
    Mr. McCormick verließ seine Richter und wandte sich langsam um, sein Blick ging mechanisch von Dr. Meyers

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