Riven Rock
kam herbeigeeilt. »Sind Sie verletzt? Sollen wir einen Arzt rufen?«
»Die Rechnung bitte«, keuchte Stanley, und was war nur mit seiner Stimme passiert? Er klopfte sich heftig mit der Faust aufs Brustbein. »Ich... ich möchte zahlen.«
»Sir?« sagte der Portier fragend, dann aber musterte er Stanleys Blick, seinen Kragen und das Wasser, das ihm von der Nase und vom Kinn tropfte, und änderte seinen Tonfall. »Jawohl, sehr gerne«, sagte er, ganz Gehorsam und ölige Beflissenheit, »die habe ich gleich. Mr. McCormick, nicht wahr?«
»Lassen Sie dann bitte meinen Wagen vorfahren.«
Wieder zeigte sich der Portier überrascht. Er warf einen nervösen Blick auf den Pagen. »Sir?«
»Mein Automobil. Es steht hinten im Stall. Ich will es fahrbereit vor dem Hotel, und... und zwar sofort.«
»Aber, Sir, es ist fast Mitternacht, und unser Fahrer hat schon Feierabend – ich fürchte, daß niemand hier Ihren Wagen lenken kann, Sir, und außerdem... es regnet doch.«
Stanley zog mehrere Geldscheine aus der Brieftasche und legte sie in eine ordentliche Reihe auf die Marmortheke. »Macht nichts«, sagte er, »ich hole ihn selber. Nehmen Sie das hier für meine Rechnung und, und behalten Sie das Wechselgeld.«
»Und Ihr Gepäck?« rief ihm der Portier nach, doch Stanley drehte sich nicht einmal um.
Der Mercedes besaß kein Verdeck, aber Stanley kümmerte das nicht. Er legte sich eine Decke über die Knie, wickelte einen braunen Staubmantel um sich, bedeckte seinen triefnassen Skalp mit einem breitkrempigen Filzhut und fuhr in einem Getöse von Fehlzündungen und krachenden Gängen auf der dunklen Straße davon. Der Regen prasselte in silbrigen Bächen auf Spritzbrett und Sitze nieder, bis ein regelrechter Strom zu seinen Füßen über das Trittbrett hinausfloß. Sein Hut wurde zusammengeklatscht, die Schutzbrille lief an, der Wind pfiff durch ihn hindurch. Und sobald er die Stadt verlassen hatte, auf dem Weg in die Adirondacks zu seiner Mutter war, umschloß ihn die Finsternis, und das bißchen Helligkeit, das die Scheinwerfer verströmten, wurde von ihr nahezu verschluckt. Er sah überhaupt nichts.
Dennoch fuhr er weiter. Er stand unter Schock, war so verletzt und gedemütigt, daß er sich wie ausgebrannte Schlacke fühlte, ein Opfer der Scham, und er hatte keinen anderen Gedanken, als so rasch wie möglich nach Hause zu kommen. So raste er durch die Nacht dahin, verschreckte Füchse, Stinktiere und Opossums und jagte mit seinem Motor allen schlummernden Pferden und schnaubenden Kühen in Hörweite eine Heidenangst ein, und dabei sah er immer nur das Kiefernholz-Blockhaus am Saranac Lake vor sich, mit seinem zwei Meter hohen Kamin, den weich gepolsterten Sofas und hundert rustikalen Ecken und Nischen, in denen er sich vergraben konnte, um seine schwärenden Wunden zu lecken.
Katherine hatte ihn abgewiesen. So sah sein Leben aus. Es war ihm Kummer und Last, und es durchnäßte ihn, ließ ihm den Wind in die Zähne pfeifen und spritzte ihn mit Schlamm voll. Unvermeidlicherweise aber, während die Nacht verstrich und sein Wagen sich schleudernd und schlingernd durch das Unwetter kämpfte, begannen das Tosen der Elemente und das gleichmäßige, ungebrochene Heulen des Motors ihn zu beruhigen. Sicher doch. Er kam gut voran, bezwang diese Nacht ganz allein und stand ein Abenteuer durch, und er schaffte es bis nach Westborough, ehe er falsch abbog, dann eine Reifenpanne in beiden Vorderrädern zugleich hatte und bis zu den Achsen in einem stinkenden, nachgiebigen Schlick versank, der ihm die Stiefel auszog, kaum daß er den Wagen verlassen hatte.
Nirgends war ein Licht zu sehen. Doch er kämpfte sich barfuß durch, und die Nacht war ihm Halluzination genug. Er folgte einer Straße nach der anderen und dann der nächsten, bis der Morgen graute, immer noch regnete es, und da ragte vor ihm ein Farmhaus aus dem Zwielicht auf wie eine Insel im Meer. Der Farmer war so freundlich, ihn in die Stadt zu bringen – die er während seinen nächtlichen Irrfahrten irgendwie um gut acht Kilometer verfehlt hatte –, und wünschte ihm alles Gute, als er ihn bibbernd und ohne Schuhe am Bahnhof vonWestborough absetzte. Er nahm den ersten Zug nach Albany und mietete dort eine Kutsche mit Fahrer, die ihn zum Saranac Lake brachte, und während er schlaflos auf dem kalten Ledersitz kauerte, sah er immer wieder Katherines Gesicht vor sich, und eine ganze Schar undefinierbarer Stimmen keifte in seinen Ohren, bis er die Hände heben und sie sich
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