Riven Rock
brachte, und seine Beine wurden von den Hüftgelenken aus taub, als er hinter sich ein Dröhnen und Quietschen hörte und dann Roscoe mit furzartigem Auspuffgeknatter vorbeirasen sah, auf dem Sitz daneben der kerzengerade Dr. Hoch, dessen Bart im Fahrtwind aus dem offenen Fenster wehte. Darauf sank Mart am Wegesrand zu Boden, aber O’Kane hetzte weiter. Er folgte dem entschwindenden Heck des großen Pierce-Arrow, bis das Tor am Ende des von Bäumen dicht gesäumten, gepflasterten Wegs auftauchte und der Wagen wieder größer wurde. Einen Moment später war auch er da, rang nach Atem und fühlte sich exakt wie das Opfer eines Indianeraufstands, dem sechs oder sieben gezielte Pfeile in Lunge, Unterleib und Leber steckten.
Roscoe saß noch am Lenkrad, bleich und ausgezehrt von seinem Grippeanfall, doch Dr. Hoch stand am offenen Tor bei Mr. McCormick, und dieser schien nicht einmal zu schwitzen. »Was zum...« keuchte O’Kane und warf sich abgekämpft über die Motorhaube. »Was...?«
»Ach, Eddie«, sagte Mr. McCormick, dessen Augen sich wieder tief in seinen Schädel zurückgezogen hatten. »Hallo. Ich wollte gerade – ich dachte... also, daß wir heute mal bei diesem Tor rausfahren sollten, deshalb habe ich es aufgemacht, damit wir die Begonien sehen, die neuen Begonien...«
O’Kane war fassungslos. Er war außer sich. Er hatte höchstens noch neun Atemzüge in diesem Leben, dann war alles vorbei. »Begonien?« ächzte er.
Mr. McCormick bedeutete ihm, sich umzudrehen und die Aussicht zu genießen. Verwirrt vollzog O’Kane eine langsame Drehung und starrte den Weg entlang, der in die Ferne davonwich, wo Mart Thompson als sich bewegender Fleck heranhinkte. Und tatsächlich, da waren sie, je eine frischgepflanzte Doppelreihe zu beiden Seiten des gepflasterten Fahrwegs, bis weit nach hinten zu Mart und noch weiter: Begonien.
Und dann brach Weihnachten aus der Tiefe des Weltraums über sie herab, die Erde drehte sich durch das All, und Aldebaran stand hell und unerschütterlich am östlichen Himmel, eine festliche Zeit mit gefüllter Gans, mit Liedern und Drinks. Das Kaufhaus Marshall Field in Chicago lieferte einen fertiggeschmückten Christbaum und in Folie gewickelte Präsentpakete für das Personal (inzwischen waren es vierzehn Angestellte im Haushalt und siebenundvierzig für das gesamte Anwesen), außerdem gab es die üblichen Nippes, Süßigkeiten und hellbraune Pekannüsse sowie körbeweise erstklassige kalifornische Navelorangen, die aus dem San Fernando Valley nach Chicago und dann wieder zurück nach Kalifornien gereist waren. Die große Monterey-Kiefer draußen auf der weiten Rasenfläche, um deren Stamm herum zwei Männer einander gerade an den Fingerspitzen berühren konnten, war mit bunten Lämpchen geschmückt und strahlte hell in der Nacht. O’Kane schickte seiner Mutter einen Pullover aus Schurwolle und seinem Vater eine Porzellanreproduktion der Flagge des Staates Kalifornien, und für Eddie jr. schickte er ein Taschenmesser über seine Mutter, nicht über Rosaleen, der man nichts anvertrauen konnte, außer man band es ihr mit einem großen Zettel daran um den Hals. Und er fand ein filigranes Armband aus vierzehnkarätigem Weißgold für Giovannella, die es erst mit der Begründung ablehnte, Guido würde wissen wollen, von wem sie es hätte. »Ich werde es nur für dich tragen«, sagte sie dann. »Wenn wir allein sind. Im Bett.«
Katherine kam und ging wieder in ihrem üblichen Wirbelwind aus Geschenken, Beschwerden und Befehlen, doch nicht bevor O’Kane Gelegenheit hatte, die alljährliche Unterhaltung zwischen ihr und ihrem Mann zu belauschen – diesmal an ihrem Ende der Leitung. Es war der Heilige Abend und sie war gerade eingetroffen, so spät wie immer, und das verletzte Mr. McCormick zutiefst, was sie gar nicht wahrzunehmen schien. Die Fenster waren schlierig vom Regen, seit einer Stunde war es dunkel, und O’Kane war betrunken, während der Arbeit betrunken, und Gott mochte ihm beistehen, wenn ihn die Eisprinzessin zu einem ihrer endlosen Verhöre festnagelte und seine Fahne bemerkte. Er hätte nicht trinken sollen, und das wußte er, aber es war Weihnachten, und Sam Wah hatte einen wüsten scharfen Rumpunsch zusammengebraut, in dem Rosinen und Orangenschalen schwammen, und die Hälfte der Angestellten torkelte sturzbesoffen zur Hintertür hinein und hinaus. Und außerdem war er deprimiert. Es war sein zehntes Weihnachten in Kalifornien, zehn Jahre als Pfleger, zehn Jahre als
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