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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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anderen Menschen. Mr. McCormick saß einige Zeit über diesem Brief, und kleine Fetzen davon drangen hie und da aus der Unverständlichkeit heraus, während er sich vom Flüsterton zu lautem Gebrüll steigerte und dann wieder leiser wurde: in Jane Roessings Haus – vierzehn Grad unter Null – erinnerst du dich an Milbourne? – Hund gestorben – neuer Hut – Mutter mit Grippe im Bett.
    Es herrschte Schweigen, als er fertig war, und in dieses Schweigen plazierte Dr. Hoch seine Frage: »Neuigkeiten?«
    Mr. McCormick sah mit nichtssagender Miene auf. »Er ist von Katherine.«
    Der Doktor, eulenhaft und mit fragendem Tonfall: »Ah?«
    »Sie – sie kommt erst am Abend davor, oder am Tag davor, also, das heißt am Heiligabend. Zuviel zu tun, sagt sie. Noch vom Krieg, wissen Sie, Aufräumarbeiten. Und die – die Suffragetten. Sie ist jetzt in Washington.«
    »Ach, wie schade«, sagte Dr. Hoch, aber es klang nicht, als ob es von Herzen käme. Es ging ihm in letzter Zeit nicht gut, und so sah er auch aus, blaß und eingefallen, das Gesicht tief zerfurcht und eingeschrumpelt wie eine in der Sonne vertrocknete Frucht. In seinen Augen lag Schmerz, ein dünner Schleier, und dumpfe Resignation. Er hatte O’Kane einmal gestanden, er habe die Stelle in Riven Rock aus gesundheitlichen Gründen angenommen – das Pathologische Institut sei ihm zuviel geworden, und das Klima hier nahe der berühmten Heilquellen um Santa Barbara werde ihm gewiß guttun. Allzu gut tat es ihm aber nicht, soweit O’Kane das beurteilen konnte – sein ehemals grauer Bart war im Laufe des Jahres weiß geworden, und das einzige in seinem Gesicht, was einem auffiel, war die Narbe, die immer deutlicher und leuchtender wurde, je mehr der Rest seiner Haut von ihr zurückwich. Erstaunlicherweise war er zwei Jahre jünger als Meyer, dabei hätte jeder ihn für Meyers Vater gehalten. Oder sogar für seinen Großvater. Und noch etwas – er war gar kein Kraut, sondern Schweizer, genau wie Meyer übrigens, obwohl sie beide wie Krauts redeten, aber er erklärte O’Kane, daß Deutsch die Sprache in seinem Teil der Schweiz war, rings um Basel, und daß manche Schweizer Französisch und andere Italienisch sprachen. O’Kane hatte nur den Kopf geschüttelt: man lernte eben nie aus.
    Mr. McCormick hing immer noch matt in seinem Sessel, Katherines Brief quer über die Brust gebreitet, die Beine gespreizt und die Augen tief in den Höhlen versunken. Er war den ganzen Vormittag über erregt gewesen, und jetzt wirkte er wie aus den Angeln gerutscht, denn auf seinem Gesicht wechselten sich alle möglichen beunruhigenden Gefühle ab. O’Kane machte sich auf einiges gefaßt.
    »Wie schade«, wiederholte Hoch, »aber immerhin können Sie sich doch darauf freuen, pünktlich zu Weihnachten mit ihr zu telephonieren, um ihre vertraute Stimme zu hören, nicht wahr?«
    »Sie ist eine Hure!« schrie Mr. McCormick und sprang in einem wilden Gefuchtel von Armen und Beinen aus dem Sessel auf, dann stürmte er auf Hoch zu, baute sich zitternd über ihm auf und zerriß den Brief in kleine Stücke, die er auf den gesenkten, weißen Kopf des Arztes hinabregnen ließ. »Ich hasse sie!« tobte er. »Ich will sie umbringen!«
    »Soso, jaja«, murmelte Dr. Hoch, ohne einen Muskel zu rühren, »wir haben alle unsere Enttäuschungen, aber ich bin sicher, Sie werden sich anders fühlen, wenn sie erst einmal hier im Haus ist und Sie am Telephon mit ihr sprechen. Jetzt aber« – hier klatschte er matt in die Hände – »wissen Sie, ich fühle mich nicht so gut, wie mir lieb wäre, und vielleicht könnten wir eine kleine Ausfahrt unternehmen, was meinen Sie, Mr. McCormick? Wir alle zusammen – O’Kane, Mr. Thompson, Sie und ich? Um ein wenig Abwechslung zu haben, ja? Was meinen Sie?«
    Mr. McCormicks Miene verwandelte sich im selben Moment. Enthusiastisch grinsend sah er O’Kane und Mart, dann wieder den Doktor an. Er fuhr gern Auto, aber unter der Ägide von Dr. Brush – und jetzt Dr. Hoch – waren die Ausflüge sehr selten geworden, weil sie gefährlich und für alle Beteiligten mit großen Umständen verbunden waren: Mr. McCormick mußte dabei natürlich jede Sekunde beaufsichtigt werden und eingeklemmt zwischen O’Kane und Mart sitzen, während der Arzt, ob es nun Hamilton, Brush oder Hoch war, nur vorne bei Roscoe Platz fand.
    »Ja«, sagte Mr. McCormick mit einem breiten Grinsen seiner faulenden Zähne – Dentisten haßte er mit geistloser Inbrunst und wehrte sich jedesmal derart

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