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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Säufer, und er kam nirgendwo hin. Er war immer noch nicht reich, nicht einmal annähernd, ihm gehörte weder ein Orangenhain noch eine Avocadoplantage, sein einer Sohn war ein Fremder und lebte weit weg in Boston, und der andere hieß Guido – also wieso sollte er nicht saufen?
    Jedenfalls schlich er sich gerade zur Küche hinaus und wollte durch die hintere Halle zur Haupttreppe, nachdem er sechs mörderische Tassen des heißen chinesischen Weihnachtspunsches gebechert hatte, als er Katherines Stimme hörte und erstarrte. Nicht daß er erstaunt war, sie zu treffen – schon den ganzen Tag gingen alle auf Zehenspitzen und sahen sich nervös um, sogar Hoch –, aber irgendwie hatte er gehofft, sie würde gar nicht kommen. Sie brachte niemandem hier auch nur einen Funken Glück – eher das Gegenteil –, und er vertrat ebenso wie Nick, Pat und Mart die Ansicht, daß Mr. McCormick ohne sie besser dran wäre. Wie unruhig und nervös er an diesem Morgen gewesen war, wie gründlich er sich abgeseift hatte, das war einfach kläglich, so als hätte er Angst, sie könnte ihn durch das Telephon riechen. So aufgeregt war er gewesen, daß er nicht gefrühstückt und auch mittags nichts gegessen hatte bis auf die Suppe, und die kleinen Geschenke seiner Angestellten waren ihm nur flüchtige Beachtung wert – Ernestine Thompson hatte ihm einen Schal gestrickt, Mart schenkte ihm einen Bleistiftspitzer, und O’Kane überreichte ihm in einer symbolischen Geste einen Schlüsselanhänger mit der Aufschrift WENN EINEM ALLE TÜREN OFFENSTEHN . Nicht mehr als ein paar kleine Andenken, aber in den vergangenen Jahren hatte Mr. McCormick sich immer sehr darüber gefreut.
    »Was meinst du damit?« Katherine erhob zornig die Stimme. Als O’Kane vorsichtig in die Halle hinaustrat, nahm er eine Bewegung in der Bibliothek wahr. Es war Katherine, und sie stand mit dem Rücken zu ihm. Sie hielt den Telephonhörer steif in der wie aus Eis modellierten Hand und neigte den Kopf nach vorn, um in das Mundstück zu sprechen. Torkelson war knapp vor der Tür postiert, wie ein Holzindianer vor dem Tabakladen, seiner Miene war keinerlei Interesse oder Gefühl anzusehen, ein Butler vom Scheitel bis zur Sohle. Er starrte O’Kane an, hob aber nicht einmal die Brauen.
    »Nicht in diesem Ton, Stanley, das lasse ich mir einfach nicht... Was hast du gesagt? Willst du, daß ich auflege, jetzt sofort? Willst du das?... Na also, das ist schon besser. Ja, ich liebe dich, und das weißt du sehr wohl...«
    O’Kane beobachtete ihre Schultern, die Bewegungen ihrer Handgelenke, während sie den Hörer hielt, das Licht, das auf ihrem Haar spielte. Er wußte, er sollte schleunigst nach oben verschwinden, ehe sie sich umdrehte und ihn entdeckte, doch er tat es nicht. Er war gefangen, gefesselt, wie ein kleiner Junge im Wald, der fasziniert die Vorgänge der Natur rings um sich betrachtet. Die Vögel auf den Bäumen, die Kröten zu seinen Füßen, die Schlangen im Gras.
    »Wirklich, Stanley – nein, ganz entschieden nein. Wie oft müssen wir das denn noch durchkauen? Ich habe Butler Ames jetzt seit, mein Gott, zehn Jahren oder länger weder gesehen noch etwas von ihm gehört, und nein, ich bin nicht mit Minister Baker essen gewesen... diese Andeutung finde ich ärgerlich, Stanley, und wenn du glauben willst – nein, nicht im geringsten. Newton Baker ist ein Freund, ein alter Freund meiner Familie, und als Kriegsminister unter Präsident Wilson ist er natürlich von Zeit zu Zeit für Besprechungen zu uns gekommen, und wir...«
    Es entstand eine Pause. Katherine verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen und wandte der offenen Tür jetzt das Profil zu. Ihr Gesicht war blaß und blutleer, aber sie hatte Puder und Lippenstift aufgelegt und wirkte im Licht der Lampe dramatisch wie eine Schauspielerin, die auf ihr Stichwort wartet. Sie hörte zu – O’Kane konnte sich die zusammenhanglosen Bezichtigungen vorstellen, die Mr. McCormick am anderen Ende der Leitung auf sie losließ, und er sah, wie sie den Hörer ein Stück vom Ohr weghielt und sich zu sammeln versuchte.
    »Sag bitte kein böses Wort über Jane Roessing – sie ist ein Engel, hast du verstanden?... Das ist geradezu widerlich, Stanley, und ich warne dich hiermit... wirklich, ich kann einfach nicht glauben, was ich da höre. Immer sagst du nur ich, ich, ich – hast du dir eigentlich einmal überlegt, was ich durchmache?
    Nein, ich will dir kein schlechtes Gewissen einreden, ich möchte nur, daß du

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