Riven Rock
fand sich jeden Morgen um acht Uhr in Riven Rock ein, vom Morgenschnäpschen eine leichte Fahne verströmend, und flehte Sam Wah inständig an, ihm ein paar Rühreier zu braten, damit sich sein Magen beruhigte. Es war eine schlimme Zeit, ständig schmerzte ihm der Kopf, alle Farben wurden blasser, so daß ihm die paradiesische Kulisse draußen vor der Tür verschlissen und schäbig erschien, und langsam bekam er Angst, er könne ebenso enden wie sein Vater, dieser unbeherrschte, streitsüchtige, tolpatschige Nichtsnutz, der immer nur auf dem Sofa herumlag und außerstande war, eine Arbeit länger als zwei Wochen zu behalten. Er mußte sich einschränken, wirklich. Den ganzen Winter hindurch versprach er sich, das zu tun. Bald.
Mr. McCormicks allmähliche Besserung schien sich währenddessen fortzusetzen, obwohl ihn die Nachricht vom Waffenstillstand gleich doppelt getroffen hatte. Einerseits konnte er jetzt nicht länger die Offensiven verfolgen, seine Karten zeichnen und jeden Tag die Nase in fünf bis sechs verschiedene Zeitungen stecken, und das riß eine immer größer werdende Lücke in sein Leben, obwohl Dr. Hoch ihn für eine Reihe von Dingen zu interessieren versuchte, von der Orchideenzucht und dem Klarinettenspiel bis zu Rasenbowling und Kreuzworträtseln. Der zweite Aspekt war seine Frau. Da der Krieg nun vorüber war und die Frauen bald das Wahlrecht erhalten sollten, gab es im Grunde keine Entschuldigung für Katherine, daß sie so lange fortblieb. Sie war seit dem vorigen Weihnachtsfest nicht mehr in Riven Rock gewesen, als er sie des Ehebruchs bezichtigt hatte, obwohl sie ihm jede Woche Briefe und Päckchen mit Büchern, Kleidern, Süßigkeiten und neuen Schallplatten für sein Grammophon schickte. Das war auch ganz in Ordnung so, und Mr. McCormick schätzte diese Sendungen, aber seine Frau befand sich draußen in der weiten Welt und er nicht, und dieser Gedanke war ihm ein Quell steter Provokation, ein flackerndes kleines Flämmchen unter einem Topf mit Wasser, der langsam zu sieden begann.
Gerade drei Tage nach dem Waffenstillstand war O’Kane im oberen Salon mit Mr. McCormick, Mart und Dr. Hoch, als ein Brief von Katherine mit der Morgenpost eintraf. Es war ein langweiliger Vormittag, Hoch war ungewöhnlich schweigsam, Mr. McCormick dagegen war nervös und ging rastlos in den Zimmern auf und ab wie ein Tier im Käfig; sogar der versprochene Spielfilm war nicht gekommen, weil Roscoe die Grippe erwischt hatte und deshalb am Vorabend nicht nach Hollywood gefahren war, und von »Flying A« nebenan gab es keine neuen Produktionen mehr – vor vier Jahren war die Firma das größte Filmstudio der Welt gewesen, inzwischen stand sie am Rande des Bankrotts. Immer noch blies ein starker Wind und wehte Gestrüpp aus dem Nirgendwo daher, das sich an der Hintertür auftürmte, und alle Fensterbretter waren von einer wie mit dem Lineal gezogenen Schicht aus feinem hellbraunen Staub bedeckt, und all das machte die Atmosphäre nur um so drückender. O’Kanes Kopf schmerzte, und seine Kehle war so trocken, daß sie sich anfühlte, als hätte man ein Loch in den Boden des Death Valley gebohrt, aber er gab sich dennoch Mühe, Mr. McCormick in ein Gespräch zu verwickeln und fing sogar eine immer wieder unterbrochene Partie Schach mit ihm an. Dr. Hoch, der in Mr. McCormicks Rastlosigkeit ein Symptom dafür sah, daß Schlimmeres bevorstand, gab Anweisung, die Wassersprenger in den Bäumen aufzudrehen, doch statt des üblichen einlullenden Wisperns von tröpfelndem Wasser hörte man nichts als eine Art fernes Prasseln, als würde eine Feuerwehrspritze auf eine Mauer gerichtet, und das gelegentliche Beben der Fensterscheiben, wenn der Wind wieder einmal das Glas durchdringen wollte.
Alle drei – O’Kane, Mart und Dr. Hoch – sahen zu, wie Mr. McCormick durch das Eisengitter der Tür vom Butler die Post entgegennahm und sich in einen Sessel fallen ließ, um sie durchzulesen. Die ersten beiden Briefe interessierten ihn anscheinend nicht: als er die Absender geprüft und den Klebefalz berochen hatte, ließ er sie achtlos zu Boden fallen. Der dritte jedoch war die Zauberformel, und nachdem er die Handschrift auf dem Umschlag längere Zeit betrachtet hatte, schlitzte er ihn mit dem Zeigefinger auf und machte es sich bequem, um ihn unter einem leisen Gebrabbel zu lesen, das wohl privat gedacht war, aber immer wieder in verschiedene Knurr- und Quietschlaute und einen hohen, gellenden Falsett ausbrach, wie von einem ganz
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