Riven Rock
anwesend, die am anderen Ende des Raums leise miteinander sprachen. Schon etwas ungeduldig sank Katherine in den Sessel – sie wurde allmählich ausgesprochen gereizt: wieso bildete diese Frau sich eigentlich ein, sie könnte auch sie herumkommandieren?
»Ich werde gleich zur Sache kommen«, sagte Nettie, kniff die Lippen zusammen und starrte Katherine direkt in die Augen. »Ich will gar nicht behaupten, daß ich weiß, was mit Stanley heute nachmittag los ist, aber eines muß ich Ihnen sagen« – sie legte eine Pause ein – » Veränderungen sind immer sehr schwierig für ihn. Er ist der bravste Junge der Welt, nett und klug und liebevoll, aber er hat ein Nervenleiden. Es ist seine extreme Sensibilität, sonst nichts, seine künstlerische Ader, die da zum Tragen kommt, aber wir haben ihn natürlich von diversen Spezialisten untersuchen lassen, wegen seiner älteren Schwester Mary Virginia. Wissen Sie, Mary Virginia wurde mit der Diagnose...«
Katherine schnitt ihr das Wort ab. »Ja, ich weiß. Sie leidet an Dementia praecox. Stanley hat mir davon erzählt. Vor langem schon. Aber ich verstehe nicht, was das mit ihm zu tun haben soll.«
»Ganz recht. Aber er ist wirklich emotional labil und hat seit einigen Jahren Anfälle von nervöser Erschöpfung, deshalb dachte ich, es wäre besser, ich sage Ihnen, worauf Sie sich da einlassen, wenn Sie denn so begierig darauf sind, sich zwischen ihn und seine Familie zu stellen. Verhätscheln muß man ihn nicht, keineswegs, aber sehr wohl braucht er Verständnis – und er hat seine Launen.«
Katherine betrachtete sich im Spiegel, ihr blasses Gesicht und die wachsamen Augen, die geringste Bewegung ihrer Hände und Unterarme duplizierte sich, als sie jetzt den Rock auf den Knien glattstrich. »Ich bin mir dessen wohl bewußt«, sagte sie, und ihr Tonfall hätte kaum kühler und endgültiger sein können.
Nettie beugte sich vor, und die kämpferischen Furchen um Mund und Augen bildeten eine Schlachtlinie. »Ich weiß nicht, ob Sie begreifen, was ich Ihnen da sage: Wir fürchten, daß sich sein Zustand verschlechtern könnte. Wir hoffen es nicht – ich bete jeden Abend für ihn –, und die Ärzte klingen durchaus optimistisch, die meisten jedenfalls, aber es besteht die Möglichkeit. Sind Sie darauf vorbereitet?«
Katherine stand bereits auf. »Ich weiß nicht, wofür Sie mich halten, aber ich bin kein Kind mehr und lasse mich ungern wie eines behandeln. Ich bin mir völlig klar über Stanleys Neurasthenie und durchaus vorbereitet, alles zu tun, damit sie sich bessert. Es ist ja nicht so, als wäre er...«
»Ja? Nicht so, als wäre er was? Verrückt? Wollten Sie das etwa sagen?«
»Natürlich nicht«, sagte Katherine, doch als sie es aussprach, war der Gedanke in ihrem Kopf da, häßlich wie eine Wunde, die nicht verheilen wollte. »Ich meinte, es ist nicht so, als wäre sein Verhalten ein Grund zur Besorgnis, für mich jedenfalls nicht, denn ich kenne ihn auf eine Weise, wie Sie ihn nie kennen können. Er ist mein Mann, verstehen Sie das nicht? Er gehört nicht länger Ihnen – jetzt gehört er mir.«
Die alte Frau unter dem Panzerhut starrte sie wortlos an; ihre Augen sahen genau wie Stanleys aus. Es dauerte eine Weile, ehe sie mit so leiser Stimme, daß sie kaum hörbar war, sagte: »Ja. Das stimmt. Er gehört Ihnen.«
Sie blieben einen Monat lang in Paris, unternahmen gelegentlich mehrtägige Ausflüge in dem Renault-Motorwagen, den Stanley gekauft hatte, und sie wechselten die Hotels je nach Katherines Laune – vom Elysée Palace zogen sie ins Splendide und dann ins Ritz. »Ich brauche Veränderung«, sagte sie zu Stanley, wenn er mit den Opfergaben des Tages, einem Stapel verschnürter Päckchen und Hutschachteln, durch die Tür wankte, doch einen anderen Grund nannte sie ihm nie. Der wahre Grund war natürlich Nettie. Sie hatte sich in ihrer Zimmersuite im Elysée Palace eingenistet wie eine fette Zecke, die allen das Blut aussog, und Katherine wollte nichts als weg von ihr – und sie wollte Stanley von ihr loseisen. Das war das Wichtigste. Darum ging es. Alles würde gut werden, wenn Nettie sie nur in Ruhe ließe, da war sich Katherine sicher.
Nettie aber blieb hartnäckig. Sie bestand darauf, täglich mit ihnen zu Mittag und zu Abend zu essen und bei jedem einzelnen Einkauf mitzureden: von der Kamingarnitur, den Vasen und Ölgemälden, die ihr künftiges Heim schmücken sollten, bis zu dem Turmalinarmreif, dem Muff und der Stola aus Weißfuchs, die
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