Riven Rock
Stanley als Geschenke für seine Braut aussuchte, und Katherines einzige Chance lag darin, die eigene Mutter auf Schritt und Tritt als Puffer einzusetzen. Es war wie ein Damespiel: Nettie zog ein Feld vor, Katherine konterte mit Josephine. »Wie wär’s, wenn wir heute abend ins Theater gingen?« schlug etwa Nettie mittags vor, worauf Katherine gelangweilt von einem Buch oder einem Katalog aufblickte und meinte: »Ach, geht doch lieber zu zweit: Mutter, würdest du? – Stanley und ich sind so erschöpft, nicht wahr, Stanley?«
Stanley verhielt sich bei alledem wie ein Engel, obwohl er keinerlei Kritik an seiner Mutter ertrug – ja Katherine konnte sie nicht einmal erwähnen, ohne daß er die Kiefermuskeln anspannte, bis sie unter der Haut zuckten wie ein abnormes Gewächs. Er war pflichtbewußt und geduldig, der Inbegriff der Schicklichkeit, und kein einziges Mal ließ er einen Gedanken an Sozialismus oder Eugene Debs zwischen sich und den zielstrebigen Beutezug kommen, zu dem Katherine ausgezogen war: immerhin hatten sie ein ganzes Haus einzurichten. Demnächst jedenfalls. Nur in einem versäumte er ihr gegenüber seine Pflicht, in der größten und allerwichtigsten Sache, die alle Lebewesen dieser Erde so natürlich und unbewußt angingen wie das Atmen, das Essen oder das Herumtollen auf den Wiesen – doch ohne sie gab es keine Erfüllung, keine Sicherheit, keine Befriedigung, keine Hoffnung.
Jede Nacht war eine Wiederholung der ersten. Er hatte zu tun. Er war beschäftigt. Die Harvester Company. Korrespondenz. Buchführung. Rechnungen. Wenn sie ihm noch eine Minute ließe, nur eine Minute... Waren sie dann allein in ihren Zimmern, kurz vor dem Zubettgehen, nahm er ihre Hand, verneigte sich mit einem förmlichen Kuß und zog sich zurück, und egal wie verführerisch, wie vielsagend, schüchtern oder absichtlich gleichgültig sie sich auch gab, er setzte sich inmitten eines Ozeans aus Papier an seinen Schreibtisch, bis sie aufgab und den tristen Weg in das einsame Bett antrat. Es war ihr diskretes Elend, ihr geheimer Kummer, und die Schuld sah sie bei Nettie – es war Netties Nähe, ihr Gesicht, ihr Bild und ihr eiserner, entmannender Wille: wenn sie ihren Sohn nicht mehr haben durfte, dann sollte ihn niemand bekommen.
In ihrer Verzweiflung kam Katherine schließlich auf die Idee einer Automobilreise durch den Süden Frankreichs, eine Tour, die beide Mütter bestimmt nicht mitmachen würden, bei der Aussicht auf all den Staub und Schmutz und die schiere Barbarei der dahinrumpelnden, stinkenden, spotzenden Maschinerie, in die man dabei tagelang eingesperrt wäre – hatte Nettie nicht sogar geschworen, niemals den Fuß in einen Motorwagen zu setzen, solange sie lebte? Ja, natürlich: eine Automobilreise. Was könnte besser sein? Katherine erwachte mit dieser Inspiration eines kühlen Oktobermorgens und ließ sie auf sich einwirken, während das Mädchen ihr die Kleider zurechtlegte und sie sich das Haar bürstete und ihr Gesicht im Spiegel betrachtete. Sie wartete ab, bis der Kellner das Frühstück gebracht hatte und Stanley geistesabwesend in der Zeitung blätterte, dann stieß sie einen spitzen Schrei aus und klatschte in die Hände, als wäre ihr der Gedanke eben gekommen. »Stanley!« rief sie. »Mir kam gerade eine wunderbare Idee!«
Doch hatte Katherine ihre Widersacherin einmal mehr unterschätzt – und die eigene Mutter nebenbei auch. Beide begrüßten den Plan höchst enthusiastisch, und am Morgen der Abreise erschienen Nettie und Josephine vor dem Ritz im identischen Überland-Reisekostüm aus blassem, staubfarbenem Gewebe, das sie vom Scheitel bis zur Sohle bedeckte und unwillkürlich an die Bienenzucht oder an eine Flucht aus dem Serail denken ließ. Stanley schob sich auf den Vordersitz neben den Fahrer und übernahm selbst das Steuer, während Katherine und die beiden Mütter in ihren Kokons auf der schmalen Rückbank um die Plätze rangelten. Sie kamen nicht viel weiter als bis Montrouge, ehe der erste Reifen platzte, und nachdem sie anderthalb Stunden in der ungewöhnlich warmen Sonne darauf gewartet hatten, daß Stanley und der Chauffeur ihn flickten, schafften sie noch die gut drei Kilometer bis nach Bagneux, wo ein mechanisches Problem sie zwang, es für diesen Tag sein zu lassen.
Natürlich war das Gasthaus von Bagneux beträchtlich weniger komfortabel als erhofft, und Stanleys miesepetrige und indignierte Mutter gab die Solostimme in einem Chor von Klagen. Katherine war selbst
Weitere Kostenlose Bücher