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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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makellos weißen Hügel wie eine Linie, die sich über eine unbeschriebene Seite zog, er nahm die steilsten Hänge mit einem Selbstvertrauen und Elan in Angriff, daß es an Leichtsinn grenzte. Noch nie hatte sie ihn so ausgelassen gesehen. Und so körperlich.
    Am Ende der ersten Woche war er ein vollkommen anderer Mensch, wie neugeboren, und Katherine hätte sich ohrfeigen können, daß sie sich nicht viel früher losgeeist hatten. Er lachte beim leisesten Anlaß – ein offenes, fröhliches Lachen, nicht das Kekkern einer verstörten Hyäne, das er ständig auf den Lippen hatte, wenn seine Mutter in der Nähe war. Beim Abendessen versank er in Erinnerungen. Er sprach sanft und vertraulich mit ihr. Und er las seiner Frau jeden Wunsch von den Augen ab. Darauf hatte Katherine gewartet, auf dieses gelassene, süße Entfalten der Tage, von denen jeder neu erblühte wie knospende Rosen in einer Vase... dennoch blieben die Nächte problematisch. Und keusch. Unerträglich, herzzerreißend keusch. Es war zum Verrücktwerden.
    Die Lösung fiel ihr eines Nachmittags kurz vor Weihnachten ein – es war genau am Tag davor –, und sie schien so klar und einleuchtend, daß Katherine fast laut aufschrie. Sie glitten gerade die Abfahrten von Pontresina hinab, hoch oben über dem Ort, außer Sicht ihres Skiführers, rings herum erhoben sich die Berge wie weiße Wände aus der Erde, und ihr war gerade die hintere Bindung ihres linken Skis kaputtgegangen, weshalb Stanley vor ihr im Schnee kniete, um sie zu reparieren. Sogar durch das dicke Polster seiner Handschuhe und das fühllose Material ihres Stiefels spürte sie seine Berührung. Diese Berührung löste es in ihr aus, eine behutsame, demütige, unterwürfige Geste der Liebe, ihr Ehemann lag ihr zu Füßen, und in diesem Augenblick wußte sie, was sie zu tun hatte: Sie mußte die Initiative ergreifen .
    Es war so offenkundig, daß es schon wieder zum Lachen war. Obwohl es jeder Auffassung der weiblichen Rolle widersprach – das empfangende Gefäß, die passive Partnerin, die Lust als Last empfand –, mußte sie die Initiative ergreifen, den aktiven Part übernehmen, dorthin gehen, wo noch keine Ehefrau vor ihr gewesen war. Stanley war ein Sonderfall, und niemand würde je erfahren, was in der Stille ihres Schlafzimmers passierte – und es lag ja auch nichts Beschämendes darin, ganz und gar nicht. Sie war entschlossen. Sie würde des Nachts zu ihm kommen – noch in dieser Nacht – und ihre Hände einsetzen, ihren Mund und jedes Mittel, um ihn so zu erregen, daß er seine Pflicht tat. Natürlich. Natürlich würde sie so vorgehen. Entweder das oder als Jungfrau sterben.
    Am Abend speisten sie in einem Restaurant nicht weit vom Hotel. Katherine hatte sich zurechtgemacht, eine rot-grüne Schleife ins Haar gebunden, eine neues Kleid angezogen, und der Turmalinreif, den Stanley ihr geschenkt hatte, funkelte an ihrem Handgelenk. Sie ermunterte ihn zum Trinken – einen Grignolino, der kräftig nach Erde duftete –, und sie trank selbst zwei Glas davon, um Mut zu fassen. Als sie beide in ihre Zimmer gingen, nahm sie seinen förmlichen Gutenachtkuß entgegen und sagte dann, sie sei müde vom vielen Skilaufen und wolle gerne früh schlafen gehen – falls er nichts dagegen habe. »Ach, also, ja – sicher doch«, sagte er, und er stieß jedes einzelne Wort aus, als wäre es an den Zähnen festgeklebt, während sein Blick an der Wand hinter ihr auf und ab ging. »Ja«, sagte er nochmals. »Also. Frohe Weihnachten uns allen und allen eine gute Nacht.«
    Sie wartete, bis das Licht in seinem Zimmer erlosch – bis genau zu diesem Moment; sie wollte ihn ja nicht eindösen lassen –, dann tappte sie parfümiert und nackt über den Fußboden, sie hätte irgendwer sein können, eine Dirne, eine Hure, und sie probierte seine Tür. Sie war nicht verschlossen. Sie stieß sie mit angehaltenem Atem auf, jeder Nerv in ihr war angespannt. »Wer ist da?« fragte er, und sie sah im kühlen blauen Licht, den der Schnee auf die Fenster warf, wie sich seine dunkle Gestalt auf dem Bett aufsetzte.
    »Schhh«, flüsterte sie, »ich bin’s, Katherine. Deine Frau.«
    »Was hast du...« begann er, aber da war sie schon auf dem Bett, nackt in dem kalten Licht, die Bettfedern quietschten, die Matratze gab nach, nackt und auf allen vieren, die Kälte strich über ihre Brüste, ihren Nabel und ihren Unterleib, bis sie ganz Gänsehaut war.
    »Sprich nicht«, sagte sie, »sag kein Wort.« Sie fand sein Gesicht,

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