Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
das Haus, es ragte aus der dicht bewachsenen Landschaft auf wie ein steinerner Monolith, wie eine Festung, wie ein Gefängnis.
    »Also dann«, sagte sie und wandte sich Jane zu, »wünsch mir Glück«, und sie ließ Jane mit einer Zeitschrift im Wagen zurück. Roscoe hielt ihr regungslos die polierte, blitzende Tür auf, sie trat hinaus auf den Kiesweg und ging die breite Steintreppe zum Eingang hinauf. Die Tür öffnete sich wie von Zauberhand, und da stand Butters, starr wie ein Leichnam, und sagte mit einem höchst steifen Lächeln: »Guten Morgen, Madame, und willkommen daheim.« Die Eingangshalle war noch wie früher, die Atmosphäre des nüchternen, hohen und sehr langen Saals wurde von tropischen Pflanzen, Wandteppichen und den Skulpturen gemildert, die sie in Italien zu Stanleys Erbauung und Vergnügen erstanden hatte, an der Wand neben der Treppe, die zu den Räumen ihres Mannes führte, hingen der Manet und die beiden Monets, die siein den Flitterwochen gemeinsam ausgesucht hatten. Die Tür schloß sich geräuschlos hinter ihr, und dann sagte Butters mit einer Miene wie ein scheuendes Pferd, mit verkniffenen Nasenlöchern und fahrigem Blick: »Ich werde Mr. McCormick davon in Kenntnis setzen, daß Sie gekommen sind.« Sie blieb in Handschuhen, Hut und Mantel stehen und sah die gespenstische Gestalt des Butlers die Treppe hinauf entschwinden.
    Plötzlich ging sie auf und ab: drei Schritte hierhin, drei Schritte dorthin. Sollte sie in der Bibliothek auf ihn warten? Im Salon? Oder hier, wo sie ihn sehen konnte, wenn er die Treppe herunterkam – und noch wichtiger: wo er sie sehen konnte –, und sie ein paar Extrasekunden hatten, um sich auf die bevorstehende Begegnung vorbereiten zu können? Sie zog erst einen Handschuh aus, dann den anderen – Stanley würde ihre Hand ergreifen und sie für einen zarten Kuß an sich ziehen wollen, und es wäre wenig passend, ihm dafür einen Handschuh hinzuhalten, als wäre er nur irgend jemand, den sie zufällig auf der Straße traf. So. Das war besser. Sie hielt die Hände vor sich, die Finger gespreizt, und betrachtete sie: ruhige Hände, durchaus noch attraktiv, die Nägel frisch manikürt, der Trauring an seinem Platz, genau wo Stanley ihn ihr vor dreiundzwanzig Jahren angesteckt hatte. Und dort, an ihrem Handgelenk funkelnd, war auch der Turmalinreif, aus ebenso sentimentalen Gründen.
    Ihr Herz raste. Würde er sie noch attraktiv finden? Als er sie zum letztenmal gesehen hatte, war sie noch ein Mädchen gewesen, eine junge Frau von zweiunddreißig, etwa im Alter von Christus, als sie ihn gekreuzigt hatten, aber jetzt war sie nicht mehr jung. Sie war zweiundfünfzig Jahre alt. Zweiundfünfzig, und gut erhalten für ihr Alter. Jedenfalls fand das Jane, und ihre Mutter auch. Sie hatte nach wie vor ihre schöne Haut und ihre schönen Augen – und auch ihr Haar war noch dunkel, zum größten Teil. Der Friseur im Hotel hatte etwas nachgeholfen – sie hoffte nur, daß Stanley es nicht merkte. Natürlich war er selbst grau geworden. Zumindest hatte er grau gewirkt, als sie ihn das letztemal gesehen hatte, auch wenn es nur durch die zweidimensionale, verzerrende Optik ihres Feldstechers gewesen war.
    Sie hörte ein Geräusch oben auf dem Flur, und ihr blieb das Herz stehen. Das Scheppern der Eisentür, ein Gemurmel von Stimmen, Männerstimmen, tief und aufrichtig. Sie trat an den Fuß der Treppe, um ihm entgegenzusehen, um den ersten Blick auf ihn dort oben zu erhaschen... und da waren sie, sie kamen zu dritt, drei Gestalten, und dahinter das Gespenst des Butlers. Stanley war in der Mitte – aschfahl, hünenhaft, das Haar silbern und weiß gesträhnt – O’Kane ging auf der einen Seite, sehr dicht bei ihm, Mart auf der anderen. So schritten sie die Stufen hinab, ein Dreiergespann, Schulter an Schulter an Schulter, als wäre das Ganze eine Art Militärmanöver, jeder Schritt eine Hürde, jetzt waren sie halb unten, O’Kanes linker Arm unter Stanleys rechten gehakt, Marts rechter unter seinen linken, ihre Hände hielten seine Ärmel in den langen Manschetten fest gepackt.
    Dann sah er sie, und die Prozession hielt an. Drei rechte Beine waren im Knie angewinkelt, drei rechte Füße in blank polierten Schuhen erstarrten mitten in der Bewegung. Stanley blieb stehen, seine Augen schienen sie zu durchbohren, festzunageln, sich durch ihr Fleisch zu treiben und auf der anderen Seite wieder herauszukommen. Er blieb stehen. O’Kane und Mart blieben stehen. Die drei Männer

Weitere Kostenlose Bücher