Riven Rock
Stadt trugen. »Du etwa?«
Katherine schenkte ihr einen ironischen Blick, nahm die Zigarette zwischen Janes Fingern heraus und zog heftig daran. »Welche Wahl habe ich denn?« fragte sie und atmete den Rauch aus.
Die Dienstboten huschten umher, räumten das Gepäck ein, und der Zug, der sich gerade in eine lange, geschwungene Kurve legte, kam langsam in Fahrt. Die Lampen flackerten. Jane nippte an ihrem Gin mit Eis – guter Bombay Gin, unter den Verhütungsmitteln mit eingeschmuggelt –, streckte die Beine aus und streifte die Stöckelschuhe ab. »Zwanzig Jahre«, murmelte sie. »Das ist, als ob man jemanden sieht, der von den Toten auferstanden ist.«
Roscoe erwartete sie am Bahnhof von Los Angeles, und bis sie die lange Fahrt die Küste hinauf nach Santa Barbara hinter sich hatten, war es dunkel, und sie fühlten sich beide erschöpft, deshalb beschlossen sie, den Morgen abzuwarten, bevor sie nach Riven Rock hinausfuhren. Sie nahmen ein ruhiges Abendessen im El Mirasol ein, gleich gegenüber der Stelle, an der Katherine im Laufe der Zeit ein eigenes Haus für sich bauen sollte, komplett mit Sporthalle für Stanley, und dann riefen sie in Riven Rock an.
Butters war am Telephon, und Katherine hörte, wie er Nick im ersten Stock zurief, Stanley solle den Nebenapparat abheben. Es folgte ein Klicken, dann Nicks Stimme, rauh und scharf wie eine Säge: »Mrs. McCormick, Ma’am? Dauert noch eine Sekunde. Er hat den ganzen Abend auf Sie gewartet – richtig aufgeregt ist er –, und er macht gerade seine, Sie wissen schon, Abendwäsche und seine Zähne... oh, Moment mal, da ist er ja...«
»Katherine?«
»Hallo, Stanley – schön, deine Stimme zu hören.«
»Ja, finde ich auch.«
»Ich freue mich darauf, dich zu sehen.«
»Ja, ich auch.«
»Es wird eine so große – es ist so lange her. Ich fühle mich wie einMädchen beim ersten Rendezvous, ich bin so aufgeregt. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich war, von deinen Fortschritten mit Dr. Kempf zu erfahren. Er hat mir gesagt, du bist wieder ganz der alte.«
Kurze Pause. »Ich habe meine Hausschuhe an.«
»Ja, das hat mir Nick schon erzählt – du gehst gerade zu Bett. Hoffentlich haben wir dich nicht wachgehalten, aber der Zug hatte Verspätung, dann noch die lange Autofahrt und so weiter, jedenfalls fanden wir beide, Jane und ich, morgen wäre es besser, wenn wir alle wieder frisch und munter sind für das große Ereignis.«
»Der eine bin ich, und der andere bist du.«
»Mm? Wie meinst du das?«
»Die Schuhe. Zwei Sohlen: Katherine und Stanley. Zwei Seelen, zwei Sohlen – kapierst du?«
Sie lachte, nicht so sehr weil sie es lustig fand, sondern weil sie durcheinander war und weil sie darin Stanley erkannte, Stanley mit den gewundenen Gedankengängen. »Ja«, sagte sie, »ja, ja, natürlich – das ist wirklich gut. Zwei Seelen.« Pause. Eine lastende Stille in der Telephonleitung. »Na gut«, seufzte sie, »ich halte dich nicht länger auf. Also bis morgen, ja?«
Ein Zischen, ein Geräusch, als würde man zwei Holzklötze rhythmisch gegeneinander schlagen, und dann Stanleys Stimme, voller Kies, Sand und Schlamm, so fern von ihr, daß er ebensogut auf dem Mond hätte sein können. »Bis morgen.«
Katherine war ein Nervenbündel, als der Wagen sie am nächsten Morgen nach Montecito brachte, ihr Magen sank praktisch durch den Autoboden, sie hatte eine Gänsehaut, und ihr Atem ging ganz flach. So fühlte sie sich immer, kurz bevor sie eine Rede halten mußte, angespannt wie ein Gummiband knapp vor dem Zerreißen. Sie zündete sich eine Zigarette an, legte sie in den Aschenbecher und zündete sich noch eine an. Palmen flitzten an den Fenstern vorbei, sie konnte sie kaum wahrnehmen, geschweige denn versuchen, sie botanisch einzuordnen. Aber Jane war da. Und Jane nahm ihre Hand und beugte sich zu ihr, um sie auf den Mundwinkel zu küssen. »Es wird alles gut werden, Kat«, raunte sie. »Du wirst schon sehen.«
Dann passierten sie die hohe Steinmauer, die das Grundstück einschloß, und Roscoe, der jetzt graue Haare hatte, aber noch genauso nervös und hektisch fuhr wie früher, warf das Lenkrad scharf herum und ließ es dann durch die Finger zurückgleiten, während sie mit einem Schwung auf die vertraute Einfahrt abbogen. Mit einem Mal war Katherine hellwach. Sie konnte nicht anders. Sie sah, wo Hull und seine Leute bei den Rhododendren gearbeitet hatten, und stellte fest, daß die Büsche entlang des Weges gestutzt werden mußten. Und dort war
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