Riven Rock
den Säugetierarten Borneos und sah öfters auf die Uhr. Etwas später – ungefähr gegen sieben – läutete es unten, und sie hörte das Dienstmädchen durch die Halle trippeln, um zu öffnen. Darauf folgten ein Stimmengewirr – Stanley, sie erkannte Stanleys Tonfall – und lautes Getrampel auf der Treppe. Sie erhob sich aus dem Sessel, und ihr Herz flatterte wie ein Segel im Wind: Was nun?
Im nächsten Moment tauchte Stanley in der Tür zum Salon auf, an seiner Seite ein leicht verlegen wirkender Mann in grauem Mantel und mit einer goldenen Brille. Stanley hielt den Mann am Oberarm gepackt, und er hatte einen entrückten, ja ekstatischen Blick, so als hätte er den Schlüssel zum menschlichen Dasein entdeckt. »Mein – mein Deutschlehrer«, stellte er vor.
Der Mann, den er festhielt, schien sich vor ihm zu fürchten. »Tut mir leid«, sagte er, behindert durch einen schweren Akzent, und hob den Blick zu Katherine, »es tut mir sehr leid, so bei Ihnen einzudringen.« Er drehte sich zu Stanley um, der aber starrte ins Leere. »Ich heiße Schneerman, und ich bin Lehrer an der Deutschen Schule, und dieser, äh, Gentleman, also, Ihr Gatte, nehme ich an – nun, er war höchst überzeugungskräftig. Ich gebe ihm meine Karte. Ich sage ihm, daß mich meine Frau zu Hause zum Essen erwartet« – hier überschlug sich seine Stimme – »und, und meine Kinder, aber er war sehr beharrlich.«
»Deutsche Schule«, wiederholte Stanley auf deutsch. »Das Bettchen. Der Tisch. Ich bin gut. Wie geht es Ihnen?«
Katherine ging durch das Zimmer und versuchte ihren Mann von dem Deutschlehrer zu trennen, der ganz blaß geworden war und keuchende, flache Atemzüge ausstieß, als hätte er eine Art Anfall. Sie legte eine Hand auf Stanleys Arm und sagte so ungezwungen, wie sie konnte: »Sicher seid ihr beide sehr erschöpft. Wollen Sie sich nicht setzen, Mr. Schneerman?«
Stanley war schweißgebadet; weder rührte er sich, noch lockerte er seinen Griff. Der Deutschlehrer sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen.
»Wie wär’s mit einer schönen Tasse Tee, Stanley?« fragte sie. »Wir könnten uns doch mit Mr. Schneerman ein bißchen hinsetzen und über deine Lektion reden – vielleicht könnte er uns auch ein paar Tips geben, wie man die schwierigeren Lautverbindungen aussprechen sollte, die Umlaute und so weiter. Möchtest du das gern, Stanley? Hm?« Sie wandte sich an den Deutschlehrer. »Mr. Schneerman?«
»Jah!« sagte der kleine Mann. »Ja, gut. Machen wir gleich eine Lektion.«
Immer noch nichts. Stanley war wie in einer Art Trance, sein Blick fixierte die Lampe am anderen Ende des Salons, aber seine Hand packte den Arm des Lehrers so fest, daß die Sehnen unter seiner Haut hervortraten wie Drahtseile. Auf einmal hatte sie Angst. Große Angst. Wenn er den Mann nun verletzte? Wenn er einen seiner Tobsuchtsanfälle bekam? Da hatte sie den Einfall, Stanley um Hilfe mit den Möbeln zu bitten – als Kavalier, der einer Dame zur Hand ging, und das war ja sein wahrer, unabänderlicher Kern, sie wußte es: Höflichkeit, Anstand und Hilfsbereitschaft. »Stanley«, sagte sie, »hilfst du mir bitte, dieses Tischchen zu verschieben, damit sich Mr. Scheerman hier an den Kamin setzen kann?« Und damit bückte sie sich, um den Tisch von der Lampe, einer Zierdecke und diversen Nippes zu befreien, dann hob sie ihn mit einiger Anstrengung hoch und hielt ihn ihm mit zitternden Armen entgegen.
Stanley kehrte aus seinem abwesenden Zustand zurück. Er musterte sie mit einem prüfenden, etwas verdutzten Blick, ließ dann automatisch den Arm des Deutschlehrers los und nahm ihr das Tischchen ab. Sofort wich der kleine Mann vor ihm zurück, zog den Kopf ein und schoß zur Tür hinaus, Katherine folgte ihm auf den Fersen. »Einen Moment noch, Stanley«, rief sie über die Schultern, »ich komme gleich wieder.«
Sie holte Mr. Schneerman an der Haustür ein. »Bitte«, flehte sie und glaubte, gleich weinen zu müssen, »bitte lassen Sie mich erklären. Mein Mann, er...«
Der kleine Mann fuhr herum und beendete den Satz für sie. »... er sollte hinter Schloß und Riegel! Der Mann ist ja gemeingefährlich. Hören Sie, ich habe gute Lust, sie zu verklagen!« Hatte er eben im Salon noch geduckt und demütig gewirkt, so war er jetzt sehr selbstsicher und zeterte los, die ganze Angst und Peinlichkeit der Situation entlud sich in einem wütenden Schwall. »Was sind Sie für Menschen !« schrie er, und er hätte wohl noch mehr geschimpft,
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