Riven Rock
sagen können, daß er den Mann mochte, bestand zwischen ihnen keinerlei Feindschaft, nicht daß er gewußt hätte. Normalerweise wechselten sie ein paar Worte, meist von der Art Hallo-Wie-geht’s?-Danke-gut, und gingen ihren Geschäften nach. Doch hier stand er, in der dunklen Gasse mit seinem Vater und zwei anderen Kerlen, kräftigen Kerlen, wie O’Kane nun sah, zwei stämmigen Kerlen, die jeder einen Axtstiel in der großen, verschwitzten Hand hielten.
O’Kane hatte mit dem Filmvorführer aus Granada gesoffen, die ganze Nacht hatte er durchgesoffen, und seine kleine Auseinandersetzung mit Giovannella war so lange her – über ein Jahr inzwischen –, daß er sie völlig vergessen hatte. Bis jetzt jedenfalls. »Hallo, Baldy«, sagte er, aber seine Beine brachten nicht recht den Willen auf, ihn an dieser kleinen Itaker-Schwatzrunde vorbeizuführen. »Schöner Abend«, setzte er unsicher hinzu.
Baldy war jetzt ein alter Mann mit Schmerbauch und einem Saum aus weißem Haar, das ihm vom Schädel abstand wie ein Strahlenkranz aus Federn. »Du bist schlechter Mann, Eddie«, sagte er. »Du bist sehr schlechter Mann.«
O’Kane wollte es abstreiten, wollte scherzen und witzeln und dem Alten das Haar vom Kopf herunterschwatzen, aber er war betrunken und wußte, was ihm bevorstand. Er wußte es, aber irgendwie konnte er nicht die Energie aufbringen, sich davor zu fürchten.
»Du hast meine Tochter weh getan, Eddie, und du wirst dafür jetzt bezahlen.«
In diesem Moment traten die beiden Schläger mit den Axtstielen vor und begannen, auf den kraftlosen, schwankenden Baum einzuschlagen, der Eddie O’Kane war. Er ging nach den ersten Hieben zu Boden, und dort blieb er liegen, schützte den Kopf mit den Armen, auch als das harte Eichenholz seine Rippen, seine Knie und die harte kleine Knochenfaust an der Basis seiner Wirbelsäule traf. Als letztes erinnerte er sich an Pietros Flüche und an den weichen, feuchten Kuß von Speichel auf seiner Wange.
Er erwachte am Ende seines ersten Tages im Krankenhaus, zum Geruch nach warmem Essen, dem Geratter eines Rollwagens, auf der Zimmerdecke das tanzende Licht der Sonne, die gerade unterging. Auf dem Tisch neben ihm standen Blumen – sie stammten, wie er bald erfuhr, von Katherine, der Eisprinzessin, persönlich –, und er war in einem Zimmer mit zwei Betten. Er verspürte wenig Neugier zu erfahren, wer in dem anderen lag – sein Kopf schmerzte zu sehr –, aber später, als die Flut der Schwestern verebbt war, sah er, daß es ein Kind war, ein kleiner Junge, am ganzen Körper einbandagiert wie Tut-ench-amun und mit einem Bein in Gips, das an einem Haken über dem Bett aufgehängt war. Und da begann O’Kane, Vermutungen über das Ausmaß der Schäden am eigenen Leib anzustellen, und er fuhr sich widerwillig mit der Hand – der linken Hand, denn die rechte war fest an den Brustkorb geschnürt – die eine Seite des Rippenbogens hinab und dann die andere wieder hinauf. Er fühlte sich beengt und eingequetscht, so als könnte er kaum Luft holen und sich die Lungen füllen, und da wußte er, daß auch er vollkommen einbandagiert war, und er überdachte das auf vage, distanzierte Weise – die Rippen, sie hatten ihm wohl die Rippen gebrochen –, und dann rannte er im Traum durch die Straßen des North End, in der Hand das Täschchen einer Dame und eine Horde von Menschen, die ihm nachjagten, und war da nicht Mr. McCormick unter ihnen?
Als er am nächsten Morgen erwachte, stand ein Arzt an seinem Bett, jedenfalls sah er aus wie ein Arzt, mit weißem Mantel, Schreibblock und Standardlächeln. »Wie fühlen Sie sich?«
»Ziemlich durcheinandergerührt«, brachte O’Kane heraus und versuchte den Kopf zu heben, was aber nicht ging. »Wie drei Eier in der Pfanne.«
»Könnte schlimmer sein.« Das Lächeln des Arztes war von schauriger Beschwingtheit. »Sie werden wieder gehen können – in drei bis sechs Monaten –, aber Sie dürften wohl für den Rest Ihres Lebens leicht hinken. Ihre rechte Kniescheibe ist zerschmettert, unmittelbar darüber haben Sie einen winzigen Haarriß im Oberschenkelknochen, außerdem eine offene Fraktur der Tibia – des Schienbeins. Dann haben sie rechts drei Rippenbrüche, eine Handgelenksfraktur – ebenfalls rechts –, und ach ja, wie Sie bemerkt haben werden, ist Ihr Arm in Gips. Die rechte Ulna ist gebrochen – Ihr Ellenbogen.« Er hielt inne. »Haben Sie irgendeine Erinnerung an den Vorfall? Daran, wer die Angreifer waren, zum Beispiel? Die
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