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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Präsident McKinley seinen letzten Schnaufer getan hatte, und er wollte auch die kanadische Grenze sehen, wenn sie über Ontario nach Detroit fuhren. Seine Mutter hatte ihm eine neue Kodak-Kamera geschenkt, um die Reise für sie festzuhalten, und er knipste brav jede pittoreske wie auch alltägliche Szene – den idyllischen Bach, das einsame Pferd auf der Weide, die Rückwand einer Scheune, die dringend gestrichen werden mußte –, doch vor allem wollte er Buffalo einfangen und festhalten. Das und Kanada. Und natürlich den Westen.
    Nick und Pat saßen hinten im Waggon, in zwei roten Plüschsesseln, spielten Karten, rauchten Fünf-Cent-Zigarren und sahen aus wie Nabobs auf dem Weg zur Inspektion ihrer Teeplantagen. Dr. Hamilton saß in seinem Abteil und runzelte die Stirn über einem ledergebundenen Buch, das Federzeichnungen von Menschenaffen in ihrem natürlichen Habitat zeigte, und Mart war mit Cyrus jr. im vorderen Abteil, um Mr. McCormick zu bewachen. Und da Mr. McCormick ruhig war – vielmehr katatonisch: er lag mit angewinkelten Beinen da, die Augen starr zur Decke gerichtet, der Kopf fünfzehn Zentimeter über dem Kissen wie in der Luft arretiert –, hatte O’Kane nichts weiter zu tun, als aus dem Fenster zu schauen und zu warten, bis es Zeit für ihn wurde, Mart an Mr. McCormicks Bett abzulösen. Er starrte durch den zuckenden Schemen seines Spiegelbilds in den neutralen Schleier des Abends hinaus, sah dasselbe Gewebe aus Bäumen, Hügeln und Bächen, das er auch in den letzten eineinhalb Tagen gesehen hatte, wie auf dem Tablett wurde einem die Landschaft serviert, viel zuviel Landschaft, eine lange, ununterbrochene Bilderflut. Eine Ortschaft raste vorbei wie eine Halluzination: zwei Straßen, Wäsche auf der Leine, ein Hund, der auf einem schlammigen Hof an irgend etwas schnüffelte. Dann Bäume. Die gähnende Freifläche einer Farm. Und wieder Bäume.
    O’Kane stand auf und streckte sich. Im Hinterkopf hatte er den unausgereiften Plan, den Waggon zu verlassen und sich durch den Zug einen Weg bis zum Speisewagen zu bahnen. Er stellte sich vor, wie ihm der Negerkellner dort eine Tasse schwarzen Kaffee eingoß und womöglich etwas Süßes dazu servierte, eine Portion Vanilleeis, vielleicht mit ein bißchen von diesem getrockneten Kanton-Ingwer bestreut, oder ein paar Bent’s Biscuits oder sogar ein Stück Torte. Der Mayflower- Waggon war der letzte in einer Kette von vierzehn, plus Lokomotive und Kohlenwagen, und da Dr. Hamilton es für zu riskant gehalten hatte, eine Köchin dabeizuhaben, nahmen sie alle Mahlzeiten im Speisewagen ein – als könnte Mr. McCormick in seinem derzeitigen Zustand irgend jemandem gefährlich werden. Hamilton ließ nicht einmal den Schaffner zum Saubermachen herein, so daß auch dies zu den Arbeiten gehörte, die die Pfleger übernehmen mußten, obwohl sich O’Kane nicht beklagen durfte, war er doch der Schlimmste von allen im Erzeugen eines ganz privaten Abfallhaufens aus Zeitungen, schmutzigem Geschirr und so weiter, und ständig vergaß er, wo er seine Socken oder Hosen in dem engen Abteil, das er mit Mart teilte, fallen gelassen hatte. Aber das Essen war gut, besseres hatte er nie bekommen, sechs Gänge beim Abendessen, mit einer Consommé am Anfang und einer Käseplatte vor dem Dessert und Kaffee, wirklich erstklassig und ein grenzenloser Luxus. Und das war schließlich zu erwarten, bei dem, was die McCormicks dafür springen ließen. Nick hatte ihm erzählt, sie hätten zwanzig Fahrkarten erster Klasse für die ganze Strecke von Boston nach Santa Barbara lösen müssen, um den privaten Waggon an den Zug hängen zu dürfen.
    Aber er war müde. Er sollte wohl doch einen Spaziergang machen und sich die Beine vertreten, solange ihn niemand brauchte, und vielleicht würde er auch mehr als einen Kaffee trinken – er hatte unbedingt vor, in Buffalo wach zu sein. Er faltete die Hände hinter dem Kopf, drückte den Rücken durch und streckte sich wieder. Die letzten beiden Nächte hatte er nicht gut geschlafen – die vergangene wegen der Aufregung, endlich unterwegs zu sein, weil die Schienen den Takt mit seinem rasenden Herzen geschlagen hatten, bis er sich vorkam, als wäre er in einem Trommlerzug gelandet, rat-tat-tat, und im Stechschritt die lange staubige Straße bis nach Kali-for-ni-en. Die Nacht davor war er bei Rosaleen gewesen, ihre letzte gemeinsame Nacht unter dem Dach der netten kleinen Wohnung in der Chestnut Street, die irgendwie zu einem schweren Stein um

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