Riven Rock
seinen Hals geworden war, ein riesiger ausgehöhlter Stein voller Möbel und Babysachen, Töpfen und Pfannen und Zierdeckchen, der sich fest um seine Kehle schnürte – und das Wasser stieg immer höher. Aber es war ihre letzte Nacht, und Rosie war süß und feucht und zog ihn mit einer Heftigkeit an sich, die seinen Saft wieder und wieder steigen ließ, bis sie es die ganze Nacht trieben. Sie hatten ihre Streitigkeiten vergessen und sich vor seiner Abfahrt vertragen, ein schönes Abendessen hatte sie zubereitet, Lammkoteletts mit frischen Kartoffeln, dazu das Minzgelee, das er so mochte, das Baby warm und weich auf seinem Schoß und die ganze Zeit ruhig schlummernd wie ein kleiner Heiliger. Für wen wirst du dich entscheiden , hatte er sie knallhart vor die Alternative gestellt, für deinen Mann oder deinen Vater? Und sie hatte diesen schmelzenden, schüchternen, großäugigen Blick mit den hochgezogenen Brauen aufgesetzt und gesagt: Für dich, Eddie, für dich , und das war’s. Sie würde in ungefähr einemMonat nachkommen, mit den Frauen und den Kleinen von Nick und Pat, auf Kosten der McCormicks – sobald alles eingerichtet wäre. Und das war in Ordnung so. Fand er.
Der Zug ratterte unter seinen Füßen, und er war wieder ein Junge auf Skiern, sauste den steilen Hang hinter der Leimfabrik hinab, dann fand er erneut sein Gleichgewicht und rief Nick zu: »Ich glaube, ich vertret mir mal die Beine und geh eine Tasse Kaffee trinken – will noch irgendwer was haben?«
Nick war schlechter Laune. Er reiste nicht gern. Er war einmal den ganzen Weg von Washington/D.C. nach Boston gereist, zur Beerdigung seines Vaters – und zwar keineswegs in einem privaten Salonwagen, wie er ihnen schon an die hundertmal erzählt hatte –, und als er eintraf, lag sein Vater bereits zwei Meter tief unter der Erde, und das brach seiner Mutter für immer das Herz – drei Monate später starb sie dann ebenfalls. Und wären nicht Pat und Mart gewesen, müßte er sich nicht auch um ihr Fortkommen kümmern, dann würde er bestimmt nicht reisen. Er gab sich nicht einmal die Mühe, den Kopf zu drehen, und O’Kane mußte seine Frage wiederholen, bevor Pat endlich von seinen Karten aufsah und sagte: »Nein, nein danke, Eddie – für mich nichts.«
O’Kane blieb eine Weile stehen, der Waggon stampfte und rollte unter seinen Füßen, die Kronleuchter schwankten in einem Phantomwind, und die Landschaft raste zu beiden Seiten dahin, als könnte sie sie niemals einholen – und das würde sie natürlich auch nicht, denn sie ließen es ja alles hinter sich, alles und noch eine ganze Menge mehr –, dann beschloß er, zu Mart und dem Doktor hineinzuschauen und nachzufragen, ob sie irgendwas wollten. Er hatte gelernt, im Zug mit kleineren Schritten als sonst zu gehen und sich den Bewegungen des Wagens anzupassen, aber er war unsicher auf den Beinen und schlurfte die lange rote Zunge des Bodenläufers entlang wie ein Betrunkener auf dem Weg ins Bett. Unmittelbar neben dem Abteil des Doktors knallte er gegen die Wand, aber die Tür war geschlossen und von innen drang kein Geräusch heraus, deshalb ging er einfach weiter, bis er zum letzten Abteil zur Linken kam, dem von Mr. McCormick, und steckte den Kopf zur Tür hinein.
Mart saß neben dem Bett, im Licht der Gaslampe, ein Buch aufgeschlagen im Schoß. Das Buch gehörte Mr. McCormick – ein dicker, schön gebundener Roman mit dem Titel Der Seewolf , eines von den zwei Dutzend Büchern, die ihnen Mrs. McCormick noch untergejubelt hatte, kurz bevor sie Boston verlassen hatten. Sie war eine Viertelstunde nachdem sie ihren Mann in den Zug getragen und in seinem Abteil untergebracht hatten, auf dem Bahnsteig erschienen, und sie wandte sich an O’Kane, obwohl Pat und Mart gleich neben ihm standen, mitten in einem Chaos aus Gepäck und Gepäckträgern und den zwei sargartigen Schrankkoffern mit der Aufschrift HAMILTON , die sie noch in den Waggon wuchten mußten. »Mr. O’Kane«, rief sie und eilte den Bahnsteig entlang auf ihn zu, in einem Kleid von der Farbe blauer Trauben, neben sich ihren kleinen, wieselgesichtigen Chauffeur.
O’Kane war wie vom Donner gerührt. Er hatte sie seit jenem Vormittag im McLean nicht wiedergesehen, und nun lief sie auf ihn zu, rief in aller Öffentlichkeit seinen Namen, ihr Gesicht freundlich und lebhaft, und ihre Rocksäume schlugen beim Laufen gegen die Fußknöchel, legten die dunklen, gerippten Strümpfe und die Schnallenpumps frei, als gäbe es nichts
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