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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gab er auf. »Na, jedenfalls gib mir zwanzig, dreißig Minuten, dann komm ich mit dem Kaffee für dich wieder, abgemacht?«
    Der Zug ruckte wieder, ein plötzlicher, heftiger Schlag, der den ganzen Wagen wie ein Ruderboot schwanken ließ, und das Buch rutschte über den Fußboden, als wäre es an einer Schnur befestigt. Davon abgelenkt, antwortete Mart weder ja noch nein – er hob wortlos das Buch auf und blätterte es durch, bis er die Seite wiedergefunden hatte. Dann schwang er die Beine herum, machte es sich auf dem Stuhl bequem und räusperte sich. »Sie erinnern sich sicher noch an die Geschichte, Mr. McCormick«, sagte er und sprach zu einer Stelle an der Wand knapp über dem Kissen und der erstarrten, blutleeren, maskenhaften Grimasse ihres Arbeitgebers. »Der Hai hatte Mugridge den Fuß abgebissen, und Humphrey wurde gerade klar, wer die Frau war.« Von Mr. McCormick kam keinerlei Reaktion, und als O’Kane sich zum Gehen umdrehte, hörte er, wie Mart mit leiser, zögernder Stimme vorzulesen anfing: »Zu den lebendigsten Erinnerungen meines ganzen Lebens zählt jene an die Vorgänge auf der Ghost während der vierzig Stunden, nachdem ich meine Liebe zu Maud Brewster entdeckt hatte...«
    O’Kane ging ans vordere Ende des Wagens, wobei er sein inneres Gyroskop ständig neu auf die kleinen Stöße und Finten der Zugräder einstellte, und überlegte, ob er sich vor dem Kaffee im Salonwagen einen Whiskey oder zwei als zusätzliches Stimulans genehmigen sollte. Mit dem Schnaps hatte er kein Problem, obwohl er seinen Vater zugrunde gerichtet hatte – und dessen Vater davor –, er konnte es tun oder lassen. Heute aber war ihm danach, und je länger er daran dachte, desto mehr konnte er ganz hinten in der Kehle schon die Vorfreude darauf schmecken, und er fühlte das Rauschen seines Blutes, das jetzt leise Whiskey-Botschaften an sein Hirn übermittelte. Er trug den neuen Anzug, den er beim Sears-Roebuck-Versandhaus bestellt hatte, noch ehe er seinen Donegal-Tweed ruiniert hatte – beide Mrs. McCormicks bestanden darauf, daß jeder von Mr. McCormicks Betreuern sich zu jeder Gelegenheit wie ein wahrer Gentleman kleidete, denn Mr. McCormick war ein Gentleman und die Gesellschaft von Gentlemen gewohnt –, und er blieb kurz stehen, um sein Spiegelbild in der vergitterten Glasscheibe der Waggontür zu bewundern. Heute sah er ungewöhnlich gut aus, fand er, in dem schicken blau-schwarz karierten Kammgarnanzug von Hecht & Co., die glänzendschwarze Fliege auf dem brandneuen Kragen – wie ein feiner Pinkel, wie einer, der sein Geld in Orangen oder in den Ölfeldern von Goleta angelegt hatte. Und noch dazu hatte der Anzug nur dreizehn Dollar fünfzig gekostet, obwohl diese Ausgabe seine Ersparnisse aufgebraucht und Rosaleen veranlaßt hatte, kreischend und fauchend durch die Wohnung zu rasen wie eine Hexe auf ihrem Besen.
    Jedenfalls hatte er gerade den Schlüssel im Schloß herumgedreht, als er plötzlich ein scharfes Zischen hinter sich wahrnahm, als ließe jemand die Luft aus einem Ballon, und selbst als er über die Schulter zurückblickte, wo sich ihm das erstaunliche Bild eines aller Schwerkraft zum Trotz durch die Luft fliegenden Martin bot, wurde ihm nicht sofort klar, was da geschah. Erst als Mr. McCormick eine halbe Sekunde später aus der Tür stürzte, stellte O’Kane die Verbindung her, Sehen und Verstehen vermählten sich im Zeitraum eines einzigen Herzschlags: Mr. McCormick war los. Von der Blockade befreit, aufgetaut, entfesselt. Und in Bewegung. O’Kane zog den richtigen Schluß, zugleich aber beging er einen fatalen Fehler. In der Motorik des Augenblicks gefangen, in dem Mart zusammengesunken vor der Wandvertäfelung lag wie ein alter Teppich und Nick und Pat von ihrem Kartenspiel aufsprangen, um ihren Arbeitgeber und Wohltäter abzufangen, der in einem wilden Furioso aus Armen, Beinen, Füßen und Fäusten den Gang entlangraste, warf sich O’Kane ihm entgegen und vergaß den Schlüssel in der Tür.
    Er war ein großer Mann, dieser Mr. McCormick, kein Zweifel, mit dreiunddreißig Jahren im besten Alter, mit einer beträchtlichen Reichweite und auch den Muskeln, um sie sich zunutze zu machen, und wenn er einen Anfall hatte, konnte er jedem Mann Paroli bieten, vielleicht sogar dem großen John L. Sullivan selbst. Er zögerte keine Sekunde. Mit zusammengepreßten Kiefern, die Augen so tief in die Höhlen seines Schädels gesunken, daß sie nicht mehr wie menschliche Augen aussahen, stürmte er wortlos

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