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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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voran. Mit dem Schrei »Nein, nein, Mr. McCormick, nein, nein!« packte Nick seine rechte Seite, während Pat ihn von links anging.
    Ihre Bemühungen waren umsonst. Nick rutschte an seiner Beute ab und flog in einem Scherbengetöse von Kristallglas auf einen niedrigen Mahagonitisch, und Pat, dem es gelungen war, die Arme um Mr. McCormicks Hals und Schultern zu schlingen, steckte ein halbes Dutzend kräftige Jabs in den Unterleib ein und fiel von ihm ab wie ein nasser Mantel. Mr. McCormick war für vernünftige Argumente nicht empfänglich. Mr. McCormick war im Griff seiner Dämonen, und seine Dämonen schrien nach einem Blutopfer. Es hatte keinen Sinn, ihn zu ermahnen oder Kraft auf bloße Worte zu verschwenden, und deshalb senkte O’Kane die Schulter und stürzte ihm wie ein Footballverteidiger die ganze Länge des Waggons entgegen. Leider war auch Mr. McCormick in voller Bewegung, nachdem er Pat von seinem linken Bein abgeschüttelt hatte, und so trafen sie in der Mitte des Wagens frontal aufeinander.
    Daß sie aufeinandertrafen, das wußte O’Kane sicher, aber danach wurden die Dinge etwas verschwommen. Etwas Spitzes, Knochiges, irgendeine ausladende Extremität, hart wie Kalkstein, kam mit der linken Seite seines Stirnbeins in Berührung, und einen Moment lang wußte er nicht genau, wo er war – oder wer er war. Mr. McCormick dagegen war nicht einmal außer Atem und hatte irgendwie auf den Beinen bleiben können, seine Knie und Ellenbogen stießen zu, und eine Art langgezogenes Meckern entrang sich seinem Innersten, ziegenartig und dumm. »Raaauuuus!« schien er zu sagen. »Raaauuuus!« Und dann war O’Kane auf den Knien, Pat und Nick krebsten hinter ihm herum, der ebenfalls aufgestörte, aschfahle Doktor kreischte unverständliche Kommandos, und Mr. McCormick stand an der Tür, und in der Tür steckte ein Schlüssel, und dieser Schlüssel drehte sich unter dem konzentrierten Druck von Mr. McCormicks langen, geschickten und tadellos gepflegten Fingern.
    O’Kane sah diesen Schlüssel und glaubte, sein Herz würde platzen. Was tat er da? Was hatte er sich gedacht? Das war sein Schlüssel dort im Schloß, und das würde Dr. Hamilton sehr bald herausfinden und ihm dafür die schlimmste Standpauke seines Lebens halten, vielleicht würde er ihn auch wegen Vernachlässigung seiner Pflichten und eines weiteren Verstoßes gegen die »drei Ps« (Ein Patient darf niemals Zugang zu den Schlüsseln bekommen, niemals!) feuern. Während O’Kane verzweifelt vorwärtshechtete, sah er Orangenhaine, jasminbewachsene Pergolen und laszive Señoritas wie eine Fata Morgana dahinschwinden. Obwohl er mit vollstem Einsatz durch den Waggon sprintete, Nick und Pat dicht auf den Fersen, konnte er nur entsetzt zusehen, wie Mr. McCormick die Tür aufriß, sich kopfüber in den Verbindungsgang stürzte und nach der Tür zum Nachbarwaggon griff... und was für ein Waggon war das? Ein Schlafwagen. Ein luxuriöser Pullman-Schlafwagen mit Wandgemälden, Kronleuchtern, bequemen grünen Plüschsitzen, die sich zu Betten ausklappen ließen – und mit Frauen . In diesem Waggon waren Frauen.
    »Haltet ihn zurück!« brüllte Nick. »Er hat einen Schlüssel!«
    Aber es war zu spät, um ihn noch zurückzuhalten. Er war im Nachbarwagen, seine eckige Figur schleuderte im Laufen hin und her, schon sah man von ihm nur noch ein Paar auf und ab zuckende Schultern, die weit vorn in der langen Röhre des Gangs rasch verschwanden. Als O’Kane die Tür zum Schlafwagen erreichte, war Mr. McCormick bereits an dessen anderem Ende, in seinem Kielwasser glotzten blasse verschreckte Gesichter aus den Abteilen, ein ältlicher Herr lag niedergestreckt mitten auf dem Bodenläufer wie eine erschlagene Fliege, der Zug kreischte auf den Gleisen, und die ganze dunkle Welt war aufgewühlt von rasender Bewegung. O’Kane war in der High-School der schnellste Läufer gewesen, ein geborener Sportler, und er legte sich voll ins Zeug, setzte über den alten Mann hinweg, stieß Passagiere und Schaffner beiseite, und trotzdem behielt Mr. McCormick seinen Vorsprung, keuchend und mit hochgerecktem Kopf lief er auf seinen langen Beinen wie auf Stelzen. Er gelangte zum Kopfende des Schlafwagens, zog die Tür auf und verschwand im nächsten Waggon.
    Was O’Kane in diesen gehetzten Momenten durch den Kopf ging, unterschied sich womöglich nur wenig von dem, was im verwirrten Hirn seines Arbeitgebers ablief, ein wirbelnder instinktgesteuerter Prozeß, der sämtliche Gedanken

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