Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Nerven, sonst nichts. Dann aber, eines Morgens, nach einem längeren Besuch seiner Frau, wollte er nicht mehr aufstehen. Das Lächeln war verschwunden, die Witze tot und begraben. Auf einmal sprach und aß er nicht mehr, ging nicht mehr auf die Toilette und wusch sich nicht mehr. Dr. Hamilton, Dr. Cowles und Dr. Meyer versuchten ihn zurückzuholen, sie redeten sich den Mund fusselig, sie argumentierten, ermahnten, lockten und drohten – sie holten sogar den ehrwürdigen Dr. Emil Kraepelin aus dem weit entfernten München, damit der sein Glück versuchte –, aber Mr. McCormick schien nur immer tiefer in sich selbst zu versinken, wie ein Mann, der bis zum Kinn im Treibsand steckte, und niemand auf der ganzen Welt konnte ihm helfen. Bald danach attackierte er Schwester Doane – Arabella – und mußte erneut am Bett festgebunden werden.
    Man hatte gehofft, daß Kalifornien einen Umschwung herbeiführen würde, aber soweit O’Kane sah, war das eine ziemlich sinnlose Übung. Bisher jedenfalls. Mr. McCormick war so blockiert wie noch nie, so tief versunken in seinen Halluzinationen und Phobien, daß er nicht einmal seine Pfleger wiedererkannte. Und es schien keinen zu kümmern – nach Riven Rock hatte man ihn fest verschnürt wie einen preisgekrönten Truthahn verfrachtet, und auch ohne viel mehr Bewußtsein als so ein fettes Federvieh, und damit war der Fall erledigt, aus den Augen, aus dem Sinn. Für alle, bis auf Mrs. McCormick. Katherine. Sie war die ganze Zeit über dageblieben, lange nachdem Mr. McCormicks Mutter und Geschwister abgereist waren, sie fuhr jeden Morgen zum Anwesen hinaus, wo sie Hamilton und die Pfleger ausfragte und die Dienstmädchen, den Butler und sogar den Koch mit seinem verhunzten Englisch verhörte. Was hat mein Mann zum Frühstück bekommen? Ißt er jetzt wieder? Wie ist seine Gesichtsfarbe? O’Kane hatte sie zweimal mit einem Opernglas in der Hand draußen im Gebüsch herumkriechen sehen, von wo sie einen kurzen Blick auf ihren Mann zu erhaschen hoffte, wenn er auf die Sonnenveranda hinausgerollt wurde. Auch Nick und Pat hatten jedes Interesse verloren, sie behandelten ihren Arbeitgeber wie einen dieser Sabberlappen auf der geschlossenen Abteilung; Mart schien die ganze Sache vollkommen gleichgültig zu sein, und Hamilton war so sehr mit seinen Affen beschäftigt und damit, ein Haus zu suchen und seine Frau wegen des Umzugs aus Massachusetts zu besänftigen, daß er nicht mal mehr die Zeit fand, den Kopf zur Tür hereinzustecken.
    Und O’Kane? Der saß in den Kulissen des Paradieses fest, mit einem Haufen Itaker um sich herum und einem Ziehen in den Lenden, das schlimmer war als Fieber, und wartete darauf, daß Mr. McCormick eines Tages wieder gesund würde, um ihm seine Ausdauer und Loyalität zu vergelten, und das wäre dann der Tag, an dem seine eigenen Orangen schwer an den Zweigen hingen und er endlich, zu guter Letzt, einmal selbst im Mittelpunkt stehen und das Drama des eigenen Lebens beginnen lassen könnte.
    Am Nachmittag saß er am Schreibtisch im oberen Flur, direkt hinter der verriegelten Tür zu Mr. McCormicks Zimmerflucht, er legte Patiencen und klappte alle dreißig Sekunden die Taschenuhr auf, um den schildkrötenhaften Fortgang der Zeit persönlich zu überwachen, als Dr. Hamilton hektisch und außer Atem die Treppe heraufgestolpert kam. »Edward«, rief er, »Edward, Sie müssen sich das ansehen!«
    O’Kane blickte von den Karten auf, erfreut über die Abwechslung. Er sah kurz Mart an und die gekrümmte Gestalt auf dem Bett hinter ihm, dann erhob er sich, um die Tür aufzuschließen, die »drei Ps« immer im Sinn. »Was ist denn los?« fragte er und drehte die Schlüssel. »Ein neuer Hominide?«
    Im Licht der unermüdlichen kalifornischen Sonne, das durch die Fenster im ersten Stock hereinströmte, schien der Kopf des Arztes zu glühen. Er ließ in letzter Zeit eine Menge Kopfhaut sehen, bleiche Streifen unter den graubraunen Strähnen seines Haars, und O’Kane bemerkte mit Schrecken, daß der Haaransatz tatsächlich zurückgewichen war – wann hatte das angefangen? Auch sein Gesicht – die Furchen waren tiefer geworden, und da war noch etwas, etwas völlig Merkwürdiges... aber natürlich, er hatte sich den Bart abrasiert. »Sie haben sich rasiert«, hörte O’Kane sich sagen.
    Der Arzt winkte ab, als wäre das nicht der Rede wert, doch das war es sehr wohl, denn dieser Bart hatte ihn als Psychiater ausgewiesen, er war praktisch ein Zwilling jenes Barts gewesen,

Weitere Kostenlose Bücher