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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die Bäume. »Fertig, Edward? Voilà! «
    Die Tischdecke flatterte zu Boden, und der Käfig war freigelegt. Darin befand sich eine orangegelbliche Ansammlung von Gliedmaßen und Haar, die an nichts mehr erinnerte als an einen Haufen vertrockneter Palmwedel, bis sie sich plötzlich bewegte. O’Kane sah die beiden schwimmenden Augen, Nüstern wie zwei Löcher in einem Gummischlauch, das nackte Affengesicht. »Jesus, Maria und Joseph«, sagte er, »was ist denn das?«
    »Ein Orang-Utan«, sagte der Doktor. »Wörtlich heißt das ›Mann des Waldes‹. Sein Name ist Julius, und er kommt aus dem fernen Borneo zu uns, durch die freundliche Vermittlung eines Kollegen von Kapitän Piroscz, Benjamin Butler von der Siam .« Der Arzt grinste jetzt übers ganze Gesicht. »Unser erster Menschenaffe.«
    O’Kane trat einen Schritt zurück, als Hamilton daranging, die Maschendrahttür des Käfigs zu entriegeln. Er dachte an den einäugigen Schimpansen damals in Donnellys Bar, der Frank Leary spielend im Armdrücken besiegt hatte – in diesen Sachen waren die Menschenaffen doch ganz groß, oder?
    »Keine Sorge«, beruhigte ihn Hamilton, »er ist völlig zahm. Er ist Menschen gewöhnt. Komm schon, Julius«, lockte er mit jenem hypnotischen Flüstern, mit dem er seinen Irren und Tobsüchtigen begegnete, »komm doch raus.« Zwei Orangen, verführerisch in die Höhe gehalten, waren der Köder.
    »Sind Sie sicher, daß...« begann O’Kane.
    »O ja, kein Problem«, sagte Hamilton über die Schulter. »Sie hatten ihn an Bord des Schiffes, seit er ganz klein war, und alle haben ihn geliebt, die ganze Mannschaft, sie wollten ihn mir gar nicht geben, aber natürlich jetzt, wo er ausgewachsen ist, da wurde es etwas gefährlich, mit den vielen Schnüren und Wanten und Fässern mit heißem Teer und so weiter... Ja, komm doch, so ist’s brav.«
    Geräuschlos entwand sich die zerfledderte orangegelbe Kreatur dem Käfig und kauerte auf ihren haarigen Armen wie eine Riesenspinne. O’Kane trat noch einen Schritt zurück, und die beiden Wärter wechselten einen nervösen Blick – das Vieh war fast so groß wie sie und auf jeden Fall wesentlich schwerer. Und wie alle anderen Hominiden stank es natürlich wie eine Bootsladung voller Wasserleichen.
    Julius schien sich nicht allzusehr für die Orangen zu interessieren, schob sie aber in den Schlitz mitten in seinem plastischen Gesicht, als wären es Pferdepillen, dann schlurfte er durch den Staub dahin, wo die Paviane und die anderen Affen an ihren Käfigtüren rüttelten und sich die Kehle aus dem Leib kreischten. Er tauschte verschiedene Körperflüssigkeiten mit ihnen aus, den Kopf gesenkt und teilnahmslos, während sie sich am Gitter festkrallten und die Zähne fletschten, dann setzte er sich auf die Erde, beschnüffelte lustvoll seine Finger und Zehen, ehe er sich lässig in den nächstgelegenen Baum hinaufhievte, wo er prompt einschlief wie ein fetter Käfer. Oder auch starb. Es war schwer zu sagen – er wirkte so absolut ungerührt und leblos, daß es aussah, als hätte jemand einen nassen Teppich in die Astgabel gesteckt.
    O’Kane fühlte Hamiltons Blick. »Na?« fragte der Arzt. »Was halten Sie davon? Großartig, was?«
    Die beiden Wärter waren in die große Einfriedung zurückgewichen, die Hamilton als Gemeinschaftsbereich bestimmt hatte, wo seine Hominiden, wie er es nannte, »interagieren« konnten. Dort bauten sie die Gerätschaften für dieses oder jenes rätselhafte Experiment des Doktors auf. Die in ihren Einzelkäfigen eingesperrten Affen betrachteten sie mit glänzenden Augen. Sie wußten, was Dr. Hamiltons Experimente verhießen: fressen, kämpfen und vögeln, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. O’Kane war um Worte verlegen.
    »Sie sehen nicht eben enthusiastisch aus, Edward«, bemerkte Hamilton, dessen bartloses Kinn bleicher als der Rest seines Gesichts war, wie die aufgeweichte Haut unter einem Pflaster. Seine Pupillen hüpften kurz.
    »Nein, daran liegt es nicht – ich überlege bloß gerade, ob Sie wohl noch mehr, äh, Hominiden wie den orangen da kriegen können. Die müssen ziemlich selten sein. Muß zugeben, daß ich so was wie den noch nie im Leben gesehen hab.«
    »O ja, das sind sie. Aber gerade Menschenaffen wollen wir ja haben, Edward. Macacus rhesus ist ein hervorragendes Tier zum Experimentieren, und wir können froh sein, daß wir welche haben, auch die Paviane, aber die Menschenaffen sind unsere nächsten Verwandten, und je mehr wir davon

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