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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Strand aufgewacht, mit ekligen Krabben überall am Körper – aber ich wußte immer noch, daß ich Eddie O’Kane bin.«
    Mart schien nicht ganz zu begreifen. Er starrte nur kopfschüttelnd zu der gekrümmten Gestalt auf den nackten Kacheln hinab. »Ich wünsch mir, daß er immer so bleibt, schön still und ruhig.« Und dann senkte er die Stimme, da man ja nie wußte, was Mr. McCormick dachte und woran er sich erinnern würde. »Wenn er je wieder gesund wird, dann braucht er uns nicht mehr, das ist mal klar – und was wird dann aus uns?«
    Um neun Uhr, nachdem sie Mr. McCormicks Füße entwirrt und ihn massiert hatten, um ihn ein wenig zu entkrampfen, drückte Mart dem Patienten mit einem Holzspatel die Kiefer auseinander und O’Kane schob ihm das Rohr zwischen die Zähne. (Und Mr. McCormick hatte gute, kräftige Zähne, nur wurden sie inzwischen gelb, weil er nicht imstande war, sie zu pflegen.) Das Gerät bestand aus einem ausgehöhlten Stück Bambus, wie es Kopfjäger zum Verschießen ihrer Pfeile benutzten, sowie einem gewöhnlichen Küchentrichter, und zum Frühstück bekam Mr. McCormick das gleiche wie sie – Schinken und Eier, Toast und Kaffee –, allerdings von Sam Wah, dem chinesischen Koch, gründlich zu einem dicken schwarzen Brei verarbeitet. Während O’Kane damit beschäftigt war, vor Mr. McCormicks weit offenem Mund zu lauern wie ein flugunfähiger Vogel vor einem übergroßen Küken, dem langweiligen Tropfen des Nahrungsbreis zuzusehen, dem Patienten immer wieder Mund und Kinn abzuwischen und ihm die Nase zuzuhalten, um den Schluckreflex auszulösen, mußte er unwillkürlich darüber nachdenken, wie wenig Fortschritte Mr. McCormick im Lauf der letzten zwei Monate doch gemacht hatte.
    Er war nicht immer so gewesen. Als er vor zwei Jahren zum erstenmal ins McLean eingeliefert wurde, hatte er nur einen Zusammenbruch gehabt, und die Prognose war gut. Natürlich war er schwer gestört, vor allem während der ersten Tage, da ging er auf jeden los, der ihm näher als einen Meter kam, und er schimpfte wüst über alles mögliche – über Jack London, seinen Vater, Zahnärzte, die Mähmaschinenfirma und auf Frauen, vor allem auf Frauen, er brüllte »Fotze«, »Schlitz« und »Hure«, bis die Wände vibrierten und sein Gesicht so ausgebleicht war wie ein Blatt Papier im Schnee –, aber nachdem er eine Woche lang festgebunden war, besserte er sich. Mit einemmal wurde er ruhig und vernünftig, ein würdevoller Gentleman, der sich morgens ohne Tics oder sonstigen Blödsinn ankleidete und mit den anderen Patienten und deren Verwandten herumscherzte und plauderte, so daß ihn bald alle für einen der Ärzte hielten. Und Mr. McCormick, für Späße immer zu haben, spielte mit: er gab Ratschläge, ging Arm in Arm mit enttäuschten Eltern, dem Cousin aus Bayonne, dem unwirschen Bruder und dem grimmigen Ehemann den Flur entlang und verhielt sich auch Frauen gegenüber tadellos: er war die Höflichkeit selbst mit der sanftesten, einfühlsamsten und leutseligsten Stimme, die O’Kane je gehört hatte.
    Innerhalb einer Woche erkannte er O’Kane – er nannte ihn »Eddie« und fragte speziell nach ihm –, und sie unternahmen gemeinsam lange Spaziergänge auf dem Sanatoriumsgelände, spielten Golf, Croquet, Schach und andere Brettspiele. Er beharrte darauf, daß ihm gar nichts fehlte – nur die Nerven und Überarbeitung, das war alles –, und er sprach und kleidete sich ganz normal, hatte für jeden ein Lächeln übrig, so daß O’Kane es beinahe auch glaubte. An den Abenden hielt er die ganze Station in Bann mit Geschichten von seinen Reisen – er war schon überall gewesen, in allen Hauptstädten Europas, in Ägypten, in Albuquerque, Carson City und San Francisco –, und jeder, ob Ärzte, Pfleger oder Patienten, mußte über seine Witze lachen. Er riß dauernd Witze – keine bösen Streiche, nichts Gemeines oder Gestörtes, wie man das von vielen anderen Patienten kannte, überhaupt nichts dergleichen. Er traf auch immer den richtigen Ton. Und auch wenn die Witze schon zu Zeiten seiner Mutter alte Kamellen gewesen sein mußten (»Was sagt die Sonne am Abend zum Ozean? – Hilfe, ich gehe unter!«), hatte er so offenkundigen Spaß daran – seine Miene öffnete sich zu diesem breiten Lächeln, mit dem er gesegnet war, und die Augen legten sich in winzige Fältchen –, daß sie unwiderstehlich waren, auch wenn man sie schon zum zehntenmal hörte.
    Alle waren optimistisch. Alle waren erleichtert. Nur die

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