Riven Rock
hatte.
»Es ist wie mit dem Schinken hier« – und er hielt die rosa Scheibe auf den Gabelzinken hoch, knusprig vom Braten und überzogen von glänzendem rauchigem Fett. »Wenn Elsie dir morgen keinen gibt, wirst du nichts sagen. Aber wenn zwei Tage ohne vergehen, drei, eine Woche – verstehst du, was ich meine? Und Sex – also, das ist ein echtes körperliches Bedürfnis, genau wie Essen und Wasser und die Verdauung...«
»Und Whiskey«, ergänzte Mart mit verschlagenem Grinsen. »Vergiß den Whiskey nicht.«
O’Kane grinste zurück. »Was meinst du? Sollen wir Roscoe überreden, daß er heute mit uns in die Stadt fährt?«
Und dann folgte die morgendliche Routine. Gute Nacht sagen zu Nick und Pat, die ihre Schicht jetzt beendeten, und hallo zu Mr. McCormick, der zusammengekrümmt wie eine Brezel im Bett lag. Danach hieß es, Mr. McCormick das Nachthemd auszuziehen und die Bescherung aufzuwischen, die er in der Bettwäsche hinterlassen hatte, das ganze Zeug für die Wäscherin zu bündeln und Mr. McCormick sein Duschbad zu verabreichen; dabei mußte O’Kane die ganze Zeit an Robert Ogilvie denken, den Leiter des Peachtree Asylum in Stone Mountain/Georgia, der seine Katatoniker an einem Gestell in einer großen Metallwanne aufhängte, Tag und Nacht, und nur das Wasser wechseln ließ, wenn es dreckig wurde. Keine Flecken, kein Gestank, keine Wäsche – nur ein Ablauf und ein Wasserhahn. Also, wenn das kein Fortschritt war.
»Er sieht heute nicht besonders gut aus«, bemerkte O’Kane, als sie im Zimmer das verdreckte Bett und die Haltung betrachteten, in der Mr. McCormick darin lag.
Mart war etwas abwesend. Er nickte nur mit dem großen Kopf, auf dem das Haar zu Fransen getrocknet war, und starrte auf ihren Arbeitgeber hinab wie auf ein Möbelstück. »Hab’n schon schlimmer gesehen.«
Irgendwann in der Nacht hatte Mr. McCormick sich wie ein Fötus im Mutterleib zusammengerollt, und es war ihm gelungen, den einen Fuß so in den anderen zu verhaken, daß es unbequem, ja geradezu schmerzhaft aussah – eine Haltung, wie sie einem Swami oder einem Schlangenmenschen anstand. Er atmete schwer, der Brustkorb arbeitete, als wäre er gerade fünfzehn Kilometer gelaufen, seine Augen standen weit offen, die Hände waren unentwirrbar ineinandergeklammert, aber er reagierte nicht auf sie. Sie hatten keine Wahl, als ihn so aus dem Bett zu heben, wie er war, jeder eine Hand unter eine Achsel und eine Hinterbacke, und in die Dusche hinüberzuwuchten, wo das Wasser einiges von der Kruste abspülte und sie den Rest mit Palmolive-Seife und Scheuerbürsten beseitigen konnten, und es schien alles nicht viel anders als jeden Tag, bis auf diese Körperhaltung. Trotzdem war es ein seltsames Gefühl, einen erwachsenen nackten Mann durch die Gegend zu schleifen, der unvorstellbar viele Millionen schwer, aber leblos wie eine Rinderhälfte am Fleischerhaken war. Nur seine Augen bewegten sich, aber sie nahmen nicht allzuviel wahr – höchstens einmal sahen sie zu den Wassernadeln der Brause auf oder zu dem durchs Fenster hereindringenden Licht, dann ging der Blick wieder ins Leere.
Es war unheimlich. Beklemmend. Egal, wie oft O’Kane es erlebt oder bei wie vielen Patienten er es schon gesehen hatte – und er hatte in der Irrenanstalt von Boston genug von ihnen gebadet, zwanzig auf einmal, und danach mit dem Schlauch abgespritzt wie Schweine im Stall –, es ging ihm immer noch nahe. Wie konnte jemand so leben? So sein? Und was mußte passieren, daß der Mechanismus kaputtging, daß der Normale abnormal wurde, daß ein Mann wie Mr. McCormick, der alles besaß und noch mehr, selbst die Fähigkeit, das zu wissen, verlieren konnte?
»Ich wünschte, er würde da rauskommen, Mart«, sagte er, nachdem sie ihn im Wasserstrahl der Dusche auf die Seite gelegt hatten. »Auch wenn er wieder durchdreht – alles lieber als das.«
»Soll das ein Witz sein?« Mart rieb sich die Stelle über dem linken Auge, wo ihr Arbeitgeber ihn im Zug erwischt hatte. Dampf stieg vom Boden auf. Wasser prasselte gegen die Fliesen. Mr. McCormicks Haut glitzerte jetzt, und sein Haar war ein dunkles Käppi, das an seinen Schläfen klebte und sich den Nacken hinunterzog; er grunzte leise.
»Denk doch mal nach, Mart, das ist Stanley McCormick, einer der reichsten Männer der Welt, und er hat nicht mal eine Ahnung davon. Ich meine, ich war schon so sturzbesoffen, daß ich nicht mehr wußte, wo ich bin, hab in einem Hinterhof gepennt, und einmal bin ich an einem
Weitere Kostenlose Bücher