Riven Rock
ein Telegramm an Katherine in Boston abgesandt hatte, um die Neuigkeit über die Wandlung im Zustand ihres Mannes hinauszutrompeten. Ebensowenig sie, die postwendend zurückgekabelt hatte: GEGESSEN HAT ER? STOP SICH ANGEKLEIDET? STOP DIE ZEITUNG GELESEN? STOP DURFTE SIE IHN SEHEN? STOP SOFORT? Voller Optimismus, die Segel seiner diagnostischen Fähigkeiten flatterten in der frischen Brise von Hoffnung und Mutmaßungen – aber auch vorsichtig, immer vorsichtig –, kabelte der Doktor ihr zurück: NOCH NICHT STOP.
Und das war auch gut so. Denn was sich während O’Kanes Schicht am vierten Tag nach Mr. McCormicks Auferstehung von den Toten ereignete, kam wie ein Schock, um es milde auszudrücken. O’Kane hatte so etwas noch nie gesehen, dabei meinte er schon alles gesehen zu haben. Niemand trug wirklich Schuld daran, das war immerhin etwas und eine Erleichterung für alle Betroffenen, doch wenn O’Kane tief genug in den Sedimenten der Schuldfrage bohrte, dann konnte er eine Kandidatin nennen – Katherine, immer wieder Katherine. Sie hatte es gut gemeint, das ließ sich nicht bestreiten, aber gerade weil sie es gut meinte – und weil sie eine schnüfflerische, herrische, männerfeindliche Megäre von Frau war, wie er sie sich nicht einmal in den schlimmsten Alpträumen vorstellen konnte –, mußte sie wieder einmal ihre Nase in Dinge stecken, die sie nichts angingen.
Diesmal war das Fenster von Mr. McCormicks Badezimmer das Problem. Katherine konnte es nicht lassen. Nachdem sie mit dem Erdgeschoß des Hauses fertig gewesen war, nachdem sie die Möbel, Gemälde und Steingutwaren der McCormicks in die Garage verbannt und alle Zimmer nach ihrem Geschmack umdekoriert hatte – als alles vollbracht war, von den Tapeten über die Vorhänge bis zu den Teppichen –, da richtete sie ihr Augenmerk auf den ersten Stock, jene Etage, die sie nie gesehen und deren Betreten ihr Dr. Hamilton strengstens untersagt hatte. Sie beobachtete diese Etage ständig – musterte von außen die Mauern und die Fenster und die große gekachelte Sonnenveranda durch ein Opernglas, immer auf der Lauer nach einem Blick auf ihren Mann. Es war unvermeidlich, daß sie dabei etwas fand, was ihr nicht gefiel, und in diesem Fall war es das Badezimmerfenster.
Die Gitterstäbe störten sie. Sie vermittelten zu sehr den Eindruck einer Festung – oder einer Irrenanstalt. Sie besprach sich mit Hamilton, dann rückte sie mit einem jungen Architekten und einem Trupp Italiener an, um die absolut zweckmäßigen, drei Zentimeter starken Eisenstäbe entfernen und durch stählerne Innenjalousien ersetzen zu lassen, während Mr. McCormick verrenkt in seinem Schlafzimmer lag. Die Konstruktion dieser Jalousien sollte gewährleisten, daß ein erwachsener Mann von Mr. McCormicks Gewicht und Körpergröße nicht mit dem Arm durch eine der Lamellen an das Glas dahinter gelangen konnte – und natürlich waren sie von entsprechender Festigkeit und Haltbarkeit, so daß sie sich keinesfalls verbiegen oder beschädigen ließen, um Mr. McCormick eine Fluchtmöglichkeit zu bieten. Was der Architekt jedoch nicht berücksichtigt hatte, das war der Erfindungsreichtum von Mr. McCormick – und seine Kraft. Vor allem wenn er von einem Anfall gepackt wurde.
An diesem vierten Tag, es war gegen Ende von O’Kanes und Marts Schicht, senkte sich der Abend über das Haus, die Vögel zwitscherten, die Sonne hing an einer Schnur, die Inseln hoben sich als scharfes Relief vor dem Doppelspiegel von Himmel und Ozean ab. Mart war im Salon, wo er an einem Kreuzworträtsel seinen Wortschatz verbesserte, und Mr. McCormick hatte sich für ein Nickerchen vor dem Abendessen zurückgezogen. O’Kane saß in einem Sessel gegenüber von Mart, hatte die Füße auf das Fensterbrett gelegt und starrte ins Leere. Er dachte an sein Zimmer und an den faden, unverdaulichen Brei aus Fett und zerkochtem Gemüse, den ihm seine Vermieterin vermutlich wieder vorsetzen würde – und an den ersten Drink des Abends, und an Giovannella –, als er das unverkennbare Geräusch von splitterndem Glas hörte, das gleich danach wie ein schwerer Regen auf den Steinboden vor dem Haus prasselte.
Er dachte keinen Moment lang nach, sondern schoß vom Sessel auf wie ein Hochspringer, rannte in Mr. McCormicks Schlafzimmer, das er leer vorfand, und dann weiter zum Badezimmer, das verschlossen war. Oder nicht verschlossen – ein Schloß gab es ja nicht –, vielmehr blockiert. Mr. McCormick schien etwas unter den Türknopf
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