Riven Rock
sich nochmals im Zimmer umzusehen. Louisa verschwand gerade durch die Tür zum Salon, wo ein Dutzend energischer Frauen auf und ab schritten, letzte Verbesserungen an Spruchbändern und Plakaten vornahmen und leise miteinander sprachen wie Soldaten kurz vor der Schlacht. Mrs. Littlejohn betrachtete sie weiterhin mit ihrem souveränen und mütterlichen Lächeln, und Carrie – Carrie Chapman Catt, Katherines Busenfreundin und Waffengefährtin – schaute angestrengt aus dem Fenster. »Mir fehlen die Worte«, murmelte Katherine, »es ist so... erniedrigend, wenn die eigene Privatsphäre verletzt wird. Ich fühle mich, als hätte mich jemand vergewaltigt.«
Carrie sah ihr jetzt freiweg ins Gesicht. Sie schürzte die Lippen und machte einen geringschätzigen Schnalzlaut. »So etwas solltest du nach zwei Jahren in der Bewegung doch gewöhnt sein – erinnere dich an das, was sie über mich alles geschrieben haben. Aber nimm die Zeitung mit und such dir eine ruhige Ecke – und dann lies es. Bis zum Ende. Ehrlich, da steht nichts als Lob für dich drin. Laß dich nicht von den Schlagzeilen täuschen – die sind absichtlich banal und geschmacklos formuliert. So verkaufen die schließlich ihre Zeitungen.«
Ja, aber sie wollte den Namen Dexter aus allem heraushalten – und Stanleys Namen auch. Und ihre eigenen innersten Hoffnungen und Qualen, ihre Ehe, ihr Leid – wie konnten sie es wagen? Wie konnten sie es wagen, auch nur eine Zeile über ihr Privatleben zu drucken? Sie konnten »Nein zum Weiberregiment!« kreischen, so laut sie wollten – das gehörte zu den Privilegien der Demokratie, ganz egal, wie schwachsinnig die Parolen waren –, aber es gab doch gewisse Dinge, die einem heilig bleiben sollten.
»Geh schon«, drängte Carrie, jetzt selbst etwas mütterlich, während Mrs. Littlejohn ermutigend gluckste, und jedes Spitzendeckchen auf jedem Tisch reflektierte ihren Eifer, »geh und lies es. Die stilisieren dich zu einer Heiligen, Kat, wirklich – und das ist Öffentlichkeitsarbeit, gute Werbung, die die Menschen unwillkürlich mit unserer Sache verknüpfen.«
Katherine konnte nicht glauben, was sie da hörte. Carrie Chapman Catt, die Frau, die sie mehr als jede andere bewunderte, ja geradezu verehrte, Gründerin der Amerikanischen Vereinigung für das Wahlrecht der Frauen, die von ihrem wohlwollenden zweiten Ehemann (der inzwischen wohlwollenderweise verstorben war) verlangt hatte, ihr vier Monate im Jahr absolute Freiheit zu lassen und außerdem genug Geld, damit sie den Kampf für das Frauenwahlrecht im gewohnten Lebensstil führen konnte, diese Frau wollte sie zu schnöden Werbezwecken der Journaille zum Fraß vorwerfen. Das tat Katherine weh. Und in diesem Moment wußte sie nicht, was schlimmer war: ihre schmutzige Wäsche von einem Haufen tintenfleckiger Lohnschreiber in die Öffentlichkeit gezerrt zu sehen oder diesen kalten Hauch Realpolitik von ihrem Idol zu spüren. Sie schob das Kinn vor. Erhob sich. Und ohne ein Wort zu einer der Frauen ging sie aufrecht aus dem Zimmer und die Treppe hinauf in das Schlafzimmer, das Mrs. Littlejohn anläßlich ihrer Kampagne während der Feiern zum Unabhängigkeitstag am Strand von Nantasket für sie und Carrie geräumt hatte.
Das Haus lag in der Nähe von Hull, oberhalb der Hingham Bay, einer Bucht, die sich auf das wahre Meer, das ernsthafte Meer eröffnete, auf den kalten, düsteren Atlantik, und hier gab es keine Palmen, keinen Zephyr, keine Papageien, Affen und Orangenbäume oder sonst irgend etwas, das Frivolität und Sinnlichkeit ahnen ließe. Katherine machte es sich in einem Lehnsessel am Fenster bequem und las den Artikel, als stürzte sie nach drei Sätzen Tennis ein Glas Wasser hinunter:
In diesem Fall trennt nicht der Tod zwei Liebende, sondern es ist eine Trennung mitten im Leben, die zu überwinden viele Millionen Dollar vorhanden wären – doch hilft alles nichts. Es ist kein Held, sondern eine Heldin, die uns hier eine Lektion in Beständigkeit erteilt und vor der sich selbst ihre engsten Freunde – Mitglieder der feinsten Gesellschaft von New York, Boston und Chicago – in Bewunderung und Respekt verneigen.
Die Heldin dieser Geschichte ist die wunderschöne, kluge und hochtalentierte Mrs. Katherine Dexter McCormick, die junge Ehefrau von Stanley McCormick, dessen Vater die treibende Kraft hinter dem bekannten Mähmaschinen-Unternehmen war, einer Firma, deren Vermögen sich nicht einmal genau schätzen läßt.
Stanley McCormick ist
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