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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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selbst, die wunderschöne, kluge Katherine Dexter McCormick, und blieb am letzten Absatz hängen, in dem sie geradezu kanonisiert wurde:
    Eine Freundin von Mrs. McCormick sagte kürzlich über sie:
    »Ein Charakter, wie diese Frau ihn besitzt, ist wahrlich ein Exempel für uns alle. In meinen Augen lebt sie auf einem Vulkan und dürfte die traurigste Frau der Welt sein. Ich weiß von ihrer ungebrochenen Beliebtheit in den angesehensten gesellschaftlichen Kreisen der Ostküste – wie leicht wäre es da für sie, den kranken Gatten zu verlassen und wieder ein ganz normales Leben zu führen, doch sie hat sich für Mr. McCormick entschieden, und wenn sie den Lohn dafür nicht in diesem Leben erhält, so doch gewiß im nächsten.«
    Widerwillig und trotz des Dämons der Werbezwecke, trotz ihrer Wut und Enttäuschung und des Schwurs, den sie gerade getan hatte, nie wieder mit der Presse zu sprechen, konnte sie doch nicht umhin, eine leise Befriedigung über diese Zeilen zu empfinden, die in so billiger Druckerschwärze gedruckt waren, daß sie am Handschuh haftenblieben – denn immerhin, es war die Wahrheit.
    Es war dreiviertel vier, als Carrie und Mrs. Littlejohn sie abholten, und keine von beiden erwähnte den Zeitungsartikel, er war Vergangenheit, bereits vergessen, nur ein Kieselstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung. »Alle sind fertig«, sagte Carrie und schritt forsch durch den Raum, um in einem wilden Gewirbel von Ellenbogen und blitzenden Hutnadeln ihren Hut vom Tisch zu nehmen, »obwohl das Wetter extrem mies ist, es könnte sogar regnen, und ich frage mich, wieviel Leute überhaupt am Strand sind – wenn das Ganze mal nicht nur wieder eine gigantische Zeitverschwendung wird!«
    Katherine war schon auf den Beinen, schnappte sich Handtasche und Sonnenschirm und strich ihr Kleid glatt, als rüstete sie sich für eine Schlacht – und es war ja auch eine Art Schlacht, denn die Gegner des Frauenwahlrechts waren ein widerlicher Mob, und sie würden bestimmt dort sein, grölend und johlend, mit verzerrten Fratzen, ebenso häßlich wie von Haß durchdrungen. Oft waren sie auch betrunken, die Hälfte von ihnen zumindest, Tabakflecken auf den Hemden, die Finger schmierig, gelb vom Nikotin und allem möglichen Dreck, und sie zeterten herum wie Tiere, wie große, vom Testosteron aufgeschwemmte Bestien aus einem darwinistischen Alptraum. Sie hatten Angst vor dem Frauenwahlrecht. Angst vor der Abstinenzbewegung. Und am allermeisten Angst hatten sie vor Frauen. »Und die Behörden im Ort?« fragte sie, während sie neben Carrie trat, um im Spiegel ihren Hut zurechtzurücken. »Der Sheriff oder wer immer? Droht er etwa immer noch, uns das Reden zu verbieten?«
    Carrie drehte sich vor dem Spiegel zu ihr um. »Was glaubst du wohl?«
    »Also, was werden wir tun?«
    »Na, was schon? Ihnen trotzen!«
    Draußen auf dem Gehsteig erwartete sie bereits der Sheriff von Norfolk County mit zweien seiner Stellvertreter. Der Sheriff war uralt, ja dem Augenschein nach kaum noch lebendig, und die beiden Hilfssheriffs waren übergewichtige Hünen, zwei Fettklöße, die in ihren zu engen, laubfarbenen Uniformen wie in Eiserne Jungfrauen eingezwängt wirkten. »Sie brauchen eine Genehmigung, wenn Sie hier ne Versammlung abhalten wollen«, keuchte der Sheriff und ließ den Blick seiner wäßrigen alten Schildkrötenaugen schläfrig von Carries steinernem Bollwerk zu dem Minenfeld von Katherines Gesicht schweifen. Hinter Katherine scharten sich vierzehn Frauen mit den lila-weiß-goldenen Bannern der Bewegung und hocherhobenen Plakaten mit Aufschriften wie WIE LANGE SOLLEN WIR FRAUEN NOCH AUF DIE FREIHEIT WARTEN? oder KEINE STEUER OHNE WAHLRECHT! und die deutlichste aller Parolen: TRAMPELT NICHT AUF UNS HERUM!
    »Eine solche Genehmigung haben wir nicht«, gab Carrie so laut zurück, als brüllte sie in ein Megaphon, und die Leute drehten sich um, schon sammelte sich eine kleine Menge, Kinder rannten herbei, »wie Sie ganz genau wissen, denn Ihre Kumpane im Kreisgericht haben sie uns ja verweigert, aber wir haben gewisse unveräußerliche Rechte nach dem Ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten – das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung –, und wir haben vor, sie heute auszuüben.«
    »Nicht in Norfolk County, das werde ich verhindern«, knurrte der alte Sheriff, und sein Kiefer schnappte zu wie eine Falle.
    »Geh zurück in deine Küche, Oma!« krähte jemand, und da waren sie auch schon, die

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