Riven Rock
unrasierten, bierbäuchigen Patrioten mit dem versoffenen Grienen, die den Unabhängigkeitstag begingen, da rotteten sie sich zusammen, aber es waren auch Frauen in der wachsenden Menge, Frauen mit erhobenem Blick und stolzer Miene, Frauen, denen sie ihre Botschaft mitteilen mußten. Auf einmal hatte Katherine das Gefühl, als würde sie platzen, und sie konnte nicht schweigen, nicht hier und nicht jetzt, nicht im Angesicht dieser geistlosen Barbarei, dieser ewigen Neinsagerei und Verhöhnung. Sie wirbelte herum und stellte sich der Meute von Störenfrieden. Es waren nun schon dreißig, vierzig Mann, die aussahen, als hätten sie sich den ganzen Tag auf diesen Augenblick gefreut, auf eine kleine Hetzjagd, um die Langeweile beim Nuckeln an der Whiskeyflasche zu lindern, mal was anderes, als sich gegenseitig herumzuschubsen und einander mit zotigen Geschichten und dreckigen Witzen in den Ohren zu liegen – aber wie konnten sie es nur wagen, Carrie Chapman Catt Oma zu nennen, also wirklich. Plötzlich schrie sie den größten und offenkundig dümmsten Fettwanst in der Gruppe an, und es war ihr egal, ob der nun den Mund aufgemacht hatte oder nicht. »Und Sie gehen gefälligst zurück in den Saloon, wo Sie hingehören, Sie ordinärer Trunkenbold«, rief sie und fühlte dabei, wie das Blut in ihr aufwallte wie ein Geysir. »Säufern wie Ihnen sollte man das Wahlrecht verweigern, nicht rechtschaffenen, nüchternen, anständigen Frauen!«
Das ließ das Sturmgewitter losbrechen – nicht das buchstäbliche, das in den Wolken dräute und in einem dichtgeflochtenen Netz aus Blitzen vor der Küste grollte, sondern den Hurrikan aus testikulärem Geheul, der nur auf einen Anlaß gewartet hatte, um mit seiner Wut herauszuplatzen. Flüche – Flüche der gemeinsten Art – regneten auf sie herab, Fratzen meckerten, dann kam aus dem Nichts eine überreife Tomate geflogen und verteilte ihren stinkigen Brei über Katherines Kleid. Durch das Getöse drang Carries Stimme: »Zum Wasser, meine Damen! Wenn sie uns nicht auf dem Boden von Norfolk County sprechen lassen wollen, dann verkünden wir unsere Botschaft eben aus dem Meer!«
Jemand stimmte den Gesang an – »Vorwärts, aus dem Irrtum /Laßt hinter euch die Nacht / Vorwärts, durch das Dunkel / eure Tat ist bald vollbracht!« –, und dann marschierten sie, die hölzerne Strandpromenade entlang und auf den Sand hinaus, in den ihre Absätze tief einsanken, Geschrei, Hohn und Gelächter klangen ihnen in den Ohren, aber sie gingen immer weiter, bis sie in der Brandung standen, sechzehn von ihnen, dann siebzehn, achtzehn, die Wellen schlugen auf sie ein wie eine feindliche Macht, ihre Kleider waren ruiniert, die Schuhe zum Wegwerfen, aber sie sangen immer noch, während der Sheriff sie prustend und keuchend abzudrängen versuchte und die Störenfriede sie mit faulem Gemüse bewarfen, mit Treibgut, Seetang und allem, was ihnen gerade in die Finger kam.
Der Wind frischte auf, die Wellen peitschten auf sie ein. Carrie hielt eine Rede, und sie war so voller Feuer, wie Katherine sie noch nie erlebt hatte, und nein, die Frauen Amerikas wollten nicht mehr warten, sie waren keine Bittstellerinnen mehr, sie forderten ihre Rechte, und sie forderten sie jetzt. Und dann sprach Katherine, der saubere salzige Duft der Brandung verwehte den säuerlichen Gestank der faulen Tomate, die an ihrer Brust klebte wie ein scharlachroter Buchstabe, und sie wischte sie nicht weg, wollte ihnen diese Genugtuung nicht bereiten. Sie sprach völlig frei und konnte sich danach gar nicht mehr erinnern, was sie gesagt hatte, aber sie entsann sich noch des intensiven, belebenden Gefühls dabei, des Gefühls zu kämpfen, ihre Worte wie Bajonette in die Herzen der Menschen zu pflanzen, die sich am Ufer versammelt hatten, um ihr zuzuhören.
»Geh zurück zu deinem Mann!« rief irgendein Narr, kurz bevor das Unwetter losbrach – das buchstäbliche Unwetter, mit pfeifendem Wind, heftigem Regen und sogar Hagel, das den Strand rasch leerfegte, bis sie nur noch vor dem teilnahmslosen Sand, den gleichgültigen Möwen und ihren Schwestern predigte, die Hand in Hand neben ihr standen. Mein Mann , dachte sie, während sie von Wind und Regen und der Brandung durchnäßt die »Marseillaise« und »For All the Saints« sangen, mein Mann, der könnte ebensogut gar nicht existieren.
Später, als sie aus den Wellen herausstapften und barfuß den Strand entlangrannten wie Schulmädchen bei einem verregneten Picknick, da fühlten sie
Weitere Kostenlose Bücher