Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
vor Simon und verschwand kurz darauf im Dunkel der Akaziengrotte.
„Was hütest du eigentlich, Simon“ fragte Rixende vorsichtig, „dass dich sogar der Bischof so hoch achtet?“
„Hab Geduld, Rixende“, meinte ihr Bruder. „Du wirst es bald erfahren. Nun wollen wir gemeinsam essen, dann will ich dir dein Nachtlager zuweisen.“
Auf dem Weg zu einem der kleineren Familienverbände, die noch Platz für Neuankömmlinge hatten, wie Simon meinte, sprach ihn Rixende auf die Schwarze Jungfrau an, die die Leute von Tarusco im Angesicht der Muselmanen angerufen hatten. Simon blieb stehen und lachte.
„Wie konntest du auch ausgerechnet Muselmanen nach Tarusco mitnehmen?“ sagte er spöttisch. „Die Furcht der Leute vor deinen Männern hängt mit den Mauren zusammen, die vor Hunderten von Jahren die Pyrenäen überschritten und sich lange Zeit hier niedergelassen haben. Obwohl es lange her ist, erinnert man sich noch immer an die schreckliche Besatzung. Erst das Heer Karls des Großen hat die Menschen wieder von diesem Joch befreit. Hast du bei deiner Ankunft das alte Schloss gesehen, das auf einem Hügel kurz vor Tarusco steht?“
Rixende bejahte.
„Heute gehört es dem Grafen von Foix, aber es wurde von den Sarazenen gebaut, nebst dem Turm Mount Négrè. Am Abend der denkwürdigen Schlacht erschien Karls Soldaten plötzlich eine ´Schwarze Jungfrau`, fortan ´die Jungfrau von Sabart` genannt. Sie wird noch heute von allen Leuten hier verehrt.“
„Auch von Menschen katharischen Glaubens?“
„Nein, natürlich nicht“, sagte Simon ernst und blieb stehen. „Wenn du betest, so bete nicht vor Abbildern, gebärde dich auch nicht wie die Heuchler, die sich gerne von anderen sehen lassen und große Worte machen. Schließe dich lieber ein im verborgenen. Gott allein wird dich hören, niemand sonst.“
33
Je mehr ihr Schauen in die Tiefe dringet
der Wahrheit, drin zum Frieden kommt der Geist.
Dante, Die Göttliche Komödie
In der Nacht, als Rixende, auf Zweigen und Laub gebettet, sich in der Dunkelheit der geheimnisvollen Höhle verloren glaubte, überwältigte sie die Sehnsucht nach Fulco. Sie begann inbrünstig für ihre Liebe zu beten, und dachte dabei trotzig, dass es ihr gleich wäre, ob der Beistand nun Gott, Christus, Allah oder die Schwarze Jungfrau genannt wurde. Tief in ihrem Inneren begann sie aber zu ahnen, dass das, was wirklich heilig war, sich nicht unbedingt im Besitz Roms befinden musste.
Lange fand sie keinen Schlaf, und sie glaubte, gerade eben erst eingenickt zu sein, als Simon sie wieder wachrüttelte.
„Komm“, sagte er und drückte ihr ein Bündel Kleider in die Hand. „Es ist an der Zeit. Ich will dir etwas zeigen.“
Schlaftrunken und fröstelnd zog sich Rixende an, es waren Männerkleider, und stolperte hinter ihrem Bruder her. In den Sälen und Galerien, durch die sie kamen, herrschte absolute Stille. Nur ab und an hörte man es irgendwo tropfen. Rixende hatte Durst, wagte aber nicht, Simon darauf anzusprechen.
Große und kleine Tropfsteinsäulen säumten ihren Weg, die sich im Schein der Fackel zu den schrecklichsten Ungetümen, Bäumen, Blumen, Eulen oder Pilzen entwickelten. Nicht selten flossen steinerne Bäche in den Hauptgang, den sie beschritten, und einmal kamen sie an einem ebenfalls versteinerten Wasserfall vorüber, wobei Rixende gar meinte, ihn rauschen zu hören, obwohl er sicher schon seit ungezählten Jahren verstummt war.
Ein riesiger Auftropfstein erregte ihre Aufmerksamkeit.
„Das Grab von Pyrène“, sagte Simon lächelnd. „Weißt du, wer Pyrène war?“
Rixende schüttelte den Kopf.
„Herkules, auf dem Weg nach Gallien, verliebte sich in Pyrène, die Tochter eines Königs namens Bebrix. Ihr Vater war ihm durchaus wohlgesonnen, doch Herkules zog es weiter, um noch mehr herrliche Taten zu vollbringen. Pyrène sehnte sich unsagbar nach dem Geliebten, und weil es ihr langweilig war im Palast der Eltern, begab sie sich in ein angrenzendes Tal. Dort wurde sie von wilden Tieren zerrissen, ohne dass Herkules ihr zu Hilfe eilen konnte. Als er von dem Unglück erfuhr, beschloss er, das Gebirge, in dem sie zu Tode kam, Pyrenäen zu nennen. Und er ließ diesen herrlichen Stein zu ihrem Gedenken wachsen.“
Rixende dachte an die wilden Bären, die es in den Wäldern um Gavarnie gab. Im Winter hatten die Wölfe manches Mal so laut geheult, dass an Schlaf nicht zu denken gewesen war.
Der Gang wurde nach einiger Zeit enger und enger, so dass die beiden bald
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