Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
Kleider zu fertigen, Werkzeuge oder Töpferwaren herzustellen. Sogar ein großer Brennofen war vorhanden. Berge von Wolle, Flachs und Hanf türmten sich neben Getreidesäcken und Körben voller Rüben, Kohl, Äpfel und Nüsse. Die kleineren Kinder tobten im Spiel durch die Gänge der Höhle; unermüdlich versteckten sie sich vor den anderen, lachten hellauf, wenn sie entdeckt wurden; die älteren wurden offenbar unterrichtet. Um mehrere Feuerstellen herum hantierten geschäftige Frauen, sie kneteten Teig, buken Brot in kleinen Backöfen, die in die Felswände eingelassen waren, kämmten Hanf, mahlten Körner oder rührten in eisernen Töpfen. Es roch geradezu verführerisch nach Gemüsesuppe, so dass Rixende der Magen zu knurren begann. Simon jedoch führte sie zielstrebig in eine dunkle Ecke der Höhle, zum Anführer der Gruppe, einem noch ziemlich jungen Mann mit langem schwarzem Haar und hagerem, bleichem Gesicht. Auch er trug ein dunkles kittelartiges Gewand, das vorne geöffnet war. Darunter konnte Rixende ein weißes Leinenhemd erkennen, mit einer im Brustbereich eingenähten Tasche. Von Simon wusste sie, dass sich dort das Evangelium des Johannes befand. Um den mageren Leib hatte der Mann einen Gürtel aus geflochtenen weißen Wollfäden geschlungen. Simon fiel auf die Knie, und Rixende tat es ihm nach. Der Katharerbischof – die Höhle von Lombrives war seine Kathedrale – segnete Rixende. Nachdem sie sich wieder erhoben hatten, sprach er leise mit ihr über gewisse Regeln, die für das Zusammenleben in der Höhle zu beachten waren. Diese einzuhalten, sei unabdingbar, weil sich mittlerweile über fünfhundert Leute im gesamten Höhlenbereich aufhielten. Die Versorgung in den Spoulgas - wie man diese wehrhaften, unterirdischen Burgen nannte - sei jedoch gut; niemand müsse hungern, man besitze fließendes Wasser von ausgezeichneter Qualität, und in den Nebenkavernen befinde sich genügend Vorrat. Ununterbrochen, seit Wochen schon, habe man die Verpflegung herangeschafft.
„Woher wusstet Ihr, dass so viele Menschen kommen würden?“ fragte Rixende verwundert.
„Auch wir haben unsere Kundschafter und erfahren es meist rechtzeitig, wenn die Inquisition etwas plant. Dann handeln wir“, gab ihr der Bischof zur Antwort, und seine Augen glühten auf, als er die Nussöllampe, die vor ihm auf einem Steinaltar stand, hochnahm, sich umdrehte, um eine Wandzeichnung auszuleuchten, die Rixende an diejenige erinnerte, die sie im Steinernen Wald gesehen hatte.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Rixende ihren Bruder leise. „Ein großes Dreieck, eine Schale und diese seltsame Bogenlinie mit den kleinen Dreiecken, die alles zu überspannen scheint?“
„Es ist das Symbol der Akaziengrotte“, erklärte Simon, „der Bogen stellt den Weg der Sterne dar, den Weg der Umwandlung durch die sieben Planetenspähren. Auf diesem Pfad wird das physische Wesen des Menschen – erkennbar an dem kleinen Dreieck rechts - ständig kleiner, es wird immer feiner, zarter, während andererseits der Geist des Menschen zunimmt an Übersinnlichkeit, an göttlicher Kraft.“
„Du sprichst von der Wiedergeburt, nicht wahr?“ Simon hatte bereits in Cotllioure davon erzählt.
„Ihr habt recht, Frau.“ Der Bischof deutete nun selbst auf die einzelnen Zeichen, um sie ihr näher zu erklären. „Es ist dies die Darstellung des Alpha und des Omega, des Mysteriums der unaufhörlichen Wandlung, des Freiwerdens vom Einfluss des Stoffes, der Rückkehr zum reinen Geistmenschen, der dem Vater gleicht. Eine Wahrheit, die zu verteidigen uns kostbarer ist als unser Leben.“
Seine Augen ruhten nun auf Rixende. „Ich muss Euch an dieser Stelle eine Frage stellen. Gedenkt Ihr, als Schwester unseres Hüters, für immer bei uns zu bleiben?“
Rixende zögerte und sah auf Simon, dessen Antlitz jedoch keine Regung erkennen ließ.
Nach einer Weile schüttelte sie energisch den Kopf.
„Ich muss zurück, spätestens zum Ende der Woche. Hier kann ich nichts für Euch tun, in Carcassonne jedoch ...“
„Schlagt Euch das aus dem Kopf“, sagte der Bischof mit entschiedener Stimme. „Glauben ist eine Sache des Daseins, nicht der Machtausübung. Helfen könnt Ihr uns nicht, an keinem Ort, nicht mit Geld und nicht mit guten Worten. Die Stunde, da der Lorbeer wieder erblüht, ist noch fern. Möge der Herr Euch jedoch segnen in Eurem Leben draußen und es dereinst zu einem guten Ende führen.“
Erneut verbeugte sich der Bischof fast ehrfurchtsvoll
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