Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
verfolgte, wie der gute Elias Patrice neben den anderen am Galgen gebaumelt hatte.
Suchend sah sie sich um. Bettler gab es viele, auch solche mit Knotenstöcken. Weshalb war ihr nichts Besseres eingefallen? Langsam, die zahlreichen Kothaufen, Schlammlöcher und streunenden Hunde vorsichtig umgehend, lief sie kreuz und quer über den Platz, fast jedem dreckige Fußlappen tragenden Buckligen, vom Aussatz Genesenden oder sonstwie mit Gebresten Behafteten ein Münzlein reichend oder auch zwei.
„Aber Herrin, es ist doch nicht Allerheiligen! Ihr verschenkt ja Euer ganzes Vermögen, wollt Ihr nicht endlich die Messe besuchen?“ Josette schüttelte den Kopf über die Großzügigkeit ihrer Herrschaft. Doch Rixende achtete nicht auf ihren Einwurf. Sie blieb stehen, um sich erneut umzusehen. Plötzlich zupfte jemand von hinten an ihrem Ärmel. Erschrocken drehte sie sich um. Ein verwachsener Zwerg hüpfte an ihre Seite, blaugrün gekleidet und mit einer Schellenkappe auf dem Kopf wie ein Possenreißer. Bettelnd hielt er ihr seine Rechte entgegen. Über seine Linke hatte er eine lustige Handpuppe gestreift, die ein Kleid trug wie die Königin von Frankreich, Johanna, und auch so gekämmt war. Als Rixende sich lachend zu der hölzernen Docke hinunterbeugte, um den hübschen blauen Stoff zu bewundern, auf den winzige Sterne geheftet waren, fing die Puppe plötzlich mit hoher Fistelstimme zu sprechen an.
„Ihr werdet beobachtet. Geht in die Basilika und betet.“
„Oh“ Rixende wich zurück. „Die Docke spricht!“ Mit vor Aufregung rotem Kopf kramte sie nach einer Münze, entlohnte den kleinen Mann, streichelte der Puppe rasch über den Kopf und eilte dann mit Josette zum Südportal des Gotteshauses, wo Aucassinne auf sie wartete.
Josette war nicht dumm. Doch seit ihrer Ankunft in Narbonne kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht allein, dass sich die Herrin in dieser fremden Stadt ein herrliches Kleid nähen und zugleich dieser Frau Patrice ein elegantes Witwenkleid aus schwarzem Seidentuch mit Spitzenbesatz anpassen ließ und dass sie bereits zweimal in der Dunkelheit einen ihr gänzlich fremden Mann empfangen hatte, der ihr am gestrigen Abend dann irgendein wichtiges Schriftstück ausgehändigt hatte, oder dass sie- wie soeben – ihr ganzes Geld an die elenden Bettler verschenkte, nein, sie ließ sich obendrein von einem Zwerg und einer sprechenden Docke in die Flucht schlagen!
Rixende war weniger verwundert als aufgeregt. Der Verdacht, den Josette unterwegs gehabt hatte, schien sich zu bestätigen. Jemand verfolgte sie. Sicherlich stammte die Warnung von Authié.
Ihr Blick fiel auf einen hochgewachsenen Bettler, der direkt neben Aucassinne stand. Dieser Mann kam ihr irgendwie bekannt vor. Und er verhielt sich mehr als eigentümlich. Zwar trug er einen vielfach geflickten Kapuzenmantel und streckte die rechte Hand zum Betteln aus, aber er hatte ordentliche lederne Stiefel an den Füßen, die nicht billig gewesen sein mochten, und er stand aufrecht, ja fast stolz, an das Mauerwerk gelehnt. Leider konnte sie sein Gesicht nicht sehen, weil es durch die Kapuze fast vollständig bedeckt war. Authié jedenfalls konnte dies nicht sein. Dieser Kerl war viel zu kräftig. Ungewöhnlich stark und gutgebaut für einen Bettler, dachte Rixende noch einmal, bevor sie die Basilika betrat. Doch sicherlich sah sie bereits überall Gespenster.
Weihrauchschwaden, Gemurmel und Geraune drangen an ihr Ohr. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, suchte sie für sich und Josette einen Platz. Aucassinne schlug sich auf die Männerseite. In Narbonne beteten die Geschlechter getrennt.
Rixende kniete nieder. „Ave Maria“, begann sie und bewegte fleißig ihre Lippen. Doch sie war noch immer so verwirrt, dass ihr keine vernünftigen Worte in den Sinn kommen wollten. Niemand außer Authié, Raymonde und den Dienstboten hatte davon Kenntnis, dass sie heute die Basilika aufsuchen wollte. Sie durfte jetzt keine Dummheit begehen, noch war sie nicht in Aragon unter dem Schutz Jakobs, den die Leute den Gerechten nannten.
Krampfhaft überlegte sie, wie sie es anstellen sollte, Authié wenigstens eine kurze Nachricht zukommen zu lassen, bevor das Schiff nach Barcelona ablegte. Dass der parfait kein Wagnis einging, nur um sie zu treffen, konnte sie gut verstehen. Schließlich wäre er schon einmal um ein Haar verhaftet worden.
Die Predigt begann. „Gott gab der Liebe des Mannes Gestalt, und so ist die Frau die Liebe des
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