Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
war?“
Saint-Georges schüttelte den Kopf. „Nicht Eure Höflichkeit ist hier angeklagt. Dass Ihr jenen parfait nicht gekannt haben wollt, das nehme ich Euch nicht ab. Ihr wart demzufolge ein Ketzer, und Ihr seid noch immer einer, gerade weil Ihr so verstockt seid und leugnet.“
„Ich leugne ja gar nicht, diesen parfait möglicherweise gegrüßt zu haben, nur kannte ich ihn wahrhaftig nicht! Ich kann mich noch nicht einmal an den Vorfall erinnern. Ich bin gewiss kein Ketzer, Herr!“ Calveries begann zu schwitzen. Hatte er die falschen Worte gewählt?
Saint-Georges, der nicht vergessen konnte, dass der Müller unschuldig und nur aus einem einzigen Grund in die Mühlen der Inquisition geraten war, weil er sich geweigert hatte, Bischof Castaignet über das Maß hinaus die Füße zu küssen, hielt einen Augenblick inne. Dann sagte er leise und scharf:
„Ketzer ist nicht unbedingt derjenige, der sich gegen die Glaubenslehre vergeht, sondern der, der stur an seiner Untat festhält. Pertinacia heißt dieses Verbrechen, Verstocktheit.“
Er kniff die Augen zusammen und sah nun seinerseits dem Mann direkt ins Gesicht. Calveries hob stolz den Kopf und hielt seinem Blick stand. Sie musterten sich wortlos, über den Tisch hinweg. Schließlich stand der Inquisitor abrupt auf und begann mit verschränkten Armen in der Folterkammer umherzulaufen. Der Protokollant spielte an der Feder herum und wartete ebenso ungeduldig wie der Kerkermeister darauf, dass das Verhör weiterging.
Doch als Saint-Georges endlich stehenblieb, befahl er lediglich Polignac, den Gefangenen abzuführen.
„Was, Ihr habt diesen casus nicht gelöst und Calveries einfach wieder ins Loch gesteckt? Ohne Folter, ohne Geständnis?“
Nikolaus von Abbeville hatte kurz aufgeblickt und dabei unwillig die Brauen hochgezogen, als Fulco von Saint-Georges einige Zeit später unverrichteter Dinge in den Justizturm zurückkehrte.
„Bruder Nikolaus“, setzte Saint-Georges vorsichtig zu einer Erklärung an, „ich habe den Eindruck, der Mann sagt die Wahrheit. Die Anklage steht in seinem Fall ganz sicher auf tönernen Füßen. Obendrein kenne ich ihn gut. Er ist ein unbescholtener Geschäftsmann, fleißig, freigiebig gegenüber dem Kloster zu Albi, sowie ein guter Vater und treuer Kirchgänger. Seine Familie - alles ordentliche und fromme Leute!“
Während er angespannt auf eine Reaktion wartete, studierte Abbéville weiter unentwegt eines der zahlreichen gebundenen Bücher mit Urteilen, die im Turm der Justiz verwahrt wurden, als hätte er nichts gehört. Er blätterte vor und dann wieder zurück, zog die Stirn in Falten, stöhnte leise und erweckte ganz den Anschein, als müsse er unbedingt einen wichtigen Absatz finden, ohne den auf der Stelle die Welt unterginge. Rings um das Buch lagen weitere Pergamente verstreut, Blätter mit irgendwelchen Notizen, zwei dünne Schriftrollen sowie der Hautsack, in dem sich wohl alles befunden hatte.
Saint-Georges war sich sicher, dass der Fall Calveries nicht so rasch abgeschlossen werden konnte wie andere. Das Wichtigste jedoch war, sich nicht anmerken zu lassen, dass man den wahren Grund der Verhaftung des Müllers kannte. Denn hätte er den Bischof von Albi beschuldigt, wäre er die längste Zeit Inquisitor gewesen. Überdies nutzte Calveries das gar nichts. Den Mühlenbesitzer jedoch kaltblütig über die Klinge springen zu lassen, nur weil es Abbéville verlangte, brachte Saint-Georges ebenfalls nicht übers Herz. Er hatte unter Eid seine Treue gelobt, aber zugleich erkannt, dass es zukünftig seines ganzen Einfallsreichtums bedurfte, die Wahrheit Christi zu wahren, der Kirche keinen Schaden zuzufügen und das eigene Fortkommen nicht zu gefährden. Fulco von Saint-George, der sich klug wie eine Schlange dünkte, fasste den Entschluss, zu einer kleinen List zu greifen.
„Ich verstehe wirklich nicht“, fuhr er leise fort und gab sich dabei den Anschein der Treuherzigkeit, „wie es in Calveries` Fall überhaupt zu einer Anzeige wegen Ketzerei hat kommen können. Der Mann ist unschuldig, Bruder Nikolaus. Doch bevor wir ihn freilassen, schlage ich vor, dass wir uns denjenigen einmal vorknöpfen, der ihn denunziert hat. Ich will mich gleich morgen darum kümmern. Möglicherweise steckt ein Racheakt dahinter. Ihr wisst wie ich, dass Müllersleute seit jeher bei den Bauern unbeliebt sind. Der Mahlzwang, Bruder! Der Mahlzwang bringt das Volk in Wut, und da …“
„Schwätzer“, unterbrach ihn Abbéville
Weitere Kostenlose Bücher