Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
geleuchtet hatte, zog er unter den über Nacht verdächtig stumm gewordenen Zurückgebliebenen denjenigen Gefangen heraus, der ihm zu einem Verhör kräftig genug erschien, und schleppte ihn die Treppe hinauf zu Abbéville.
„Wie, was?“ stieß der Inquisitor hervor. Er sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch- „Es fehlen drei? Sind wir schon soweit, dass die Gefangenen mir nichts, dir nichts an dir vorbeispazieren und das Weite suchen?“
„An mir und meinen Leuten ist keiner vorbeigekommen!“ Polignacs Knollennase hatte die Farbe einer überreifen Brombeere angenommen. „Ich schwöre es Euch, Herr Inquisitor. Vielleicht gibt es noch immer diesen unterirdischen Gang, von dem die Alten erzählen. Er soll zu irgendeinem unserer Türme führen. Allerdings konnte ich kein Loch im Mauerwerk entdecken. Wir sollten einmal diesen Gesellen hier befragen!“
Polignac, in seiner Büttelehre gedemütigt, stieß den Gefangenen, dessen Beinkleider ebenso in Fetzen hingen wie sein fleckiger Kittel, vor Abbéville auf die Knie.
Was der Inquisitor daraufhin auf verschieden grobe Art und Weise aus ihm herauslockte, ergab jedoch keinen Sinn. Der Häftling stammelte einzig Unverständliches, kicherte, sabberte, und als Abbéville - am Ende seiner Geduld – ihn äußerst unfein anbrüllte und in den Hintern trat, steckte er sich auch noch beide Zeigefinger in die Ohren und lachte dabei meckernd.
„Was soll ich mit dem Trottel anfangen?“ Abbévilles Zorn entlud sich nun erneut auf Polignac, der jedoch zuckte mit den Schultern.
„Die anderen sind alle zu schwach zum Verhör, Herr.“
„Zu schwach? Schwätzer! Ich gebe dir zwei Stunden Zeit, Kerl. Dann will ich von dir wissen, wie die drei entkommen sind!“
Mit einer kurzen Handbewegung entließ der Inquisitor seinen sichtlich betroffenen Kerkermeister, der den noch immer kichernden Gefangenen unwirsch hinter sich herzog.
Kurz darauf erfuhr auch Saint-Georges von der Geschichte – und dass sich sein ehemaliger Cellerar, Bruder Henricus, unter den Entwichenen befand. Abbéville hatte sich in der Zwischenzeit nicht etwa beruhigt, im Gegenteil, seine Wut war an einem Punkt angelangt, an dem sie sich auf irgendeine Weise entladen musste. Saint-Georges ließ ihn also eine Zeitlang toben und schreien, was sich schon immer bewährt hatte. Als Abbéville aber plötzlich davon sprach, dass der Kerkermeister den Verdacht hege, es gäbe da einen unterirdischen Gang, der zu einem der städtischen Türme führte, fiel ihm die nächtliche Begegnung mit Rixende Fabri am Berardturm ein. Doch er hütete sich wohlweislich, Abbéville nachträglich davon zu erzählen. Die Geschichte hätte auch auf ihn kein gutes Licht geworfen und würde ihm überdies einen willkommenen Anlass geben, mit der Frau unter vier Augen zu sprechen.
„Bevor wir von einem solchen Fluchtweg ausgehen“, sagte Saint-Georges statt dessen nachdenklich, „sollte man zuerst die Wände des Kerkers genauestens untersuchen sowie die Wachen an der Porte Narbonnaise befragen. Auf irgendeine Weise muss man sie ja aus der Stadt gebracht haben.“
„Es waren die Franziskaner!“
„Aber noch ist nichts bewiesen …“
Nikolaus sah Saint-Georges mit derart funkelnden Augen an, dass man hätte glauben können, er vermutete, sein Verweser steckte mit ihnen unter einer Decke. Nicht zum ersten Mal hatte Saint-Georges den Verdacht, dass der Inquisitor unter einer Art Wahn leiden müsse.
„Nichts bewiesen, sagt Ihr? Die Franziskaner sind von den Ketzern gekauft! Wir müssen endlich der Schlange habhaft werden!“ fuhr Abbéville fort, wobei sein Ton noch um eine Nuance schriller wurde. „Der Hüter muss her! Verdammt. Irgend jemand muss doch wissen, wo dieser Kerl steckt. Als ich mein Amt übernommen habe, habe ich mir geschworen, dass ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln dafür sorgen werde, dass es keinen zweiten Drachenkopf mehr geben wird auf dieser Erde - und diesen Schwur erneuere ich täglich mit der hora prima.“
„Was meint Ihr damit? Einen neuen Drachenkopf?“ fragte Saint-Georges verwundert.
„Ich spreche vom heiligen Berg der Ketzer, dem Montségur!“ schleuderte der Inquisitor ihm entgegen. „Sagt bloß, Ihr kennt die Geschichte nicht, wie Rom nach langer Belagerung dem Drachen den Kopf abgeschlagen hat, im Jahr des Herrn 1244!“
„Doch, doch, natürlich!“ beeilte sich Saint-Georges zu sagen. „Nur, weshalb befürchtet Ihr heute, dass es einen zweiten Drachenkopf geben
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