Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
Haupt. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. „Ihr könnt doch nichts für dieses große Unglück, Vater“, sagte sie unter Schluchzen. „Es lag allein in Gottes Hand, was mit Aimeric geschah, und es liegt in Seiner Hand, was mit Euch und mit mir geschieht.“
„Ja, das tut es“, sagte Fabri leise. „Dennoch hat uns der Herr den Verstand gegeben, und ich will ihn nutzen, solange noch Zeit dazu ist. Ich habe meinem Freund Ibrahim ben Suleymann geschrieben. Bis er kommt und Euch hilft, das Geschäft aufzulösen, solange müsst Ihr es verwalten, Rixende, so gut es eben geht. Das ist der letzte Gefallen, um den ich Euch bitte, meine Liebe. Elias Patrice und seine Frau werden Euch zur Seite stehen. Euer Anteil und der Eures ...“ Fabri stockte und sah Rixende an, die den Hinweis auf ihren Bruder sofort verstand und wissend nickte. Offenbar gab es doch Dinge, die nicht für Franziskanerohren bestimmt waren.
„Ibrahim wird Euch auszahlen. Danach könnt Ihr Carcassonne, den Ort, der Euch so viel Kummer bereitet hat, als begüterte Frau verlassen.“
„Nein“, sagte Rixende mit fester Stimme. „Ich will hier nicht weggehen, Vater. Die Stadt hat mir nicht nur Kummer bereitet, sie ist mir inzwischen zur Heimat geworden. Und sorgt Euch nicht um die Geschäfte, ich will bis zum Eintreffen des Muselmanen alles bestens verwalten.“
Fabri lächelte unter Schmerzen. „Ihr seid eine gute Frau, Rixende. Alles hier gehört jetzt Euch! Auch das Geschäft. Doch Ihr seid noch jung, deshalb legt Euch nicht für alle Zeiten fest. Niemand kann in die Zukunft sehen. Des Menschenlebens Tage sind siebzig Jahr, in seiner Stärke achtzig Jahr, und all sein Umfang Müh und Schmerz, schnell fährt`s vorüber; und wir sind hinweg.“
Rixende nahm seine Hand in die ihre und zitierte ihrerseits: „Wer kann, ohne zu sterben, dich fliehen o Leben, unzählbar ist dein Leiden! Dich flieh`n und dich erdulden ist schwer! Dennoch blühen uns schöne Freuden, die Erd’ und die Sonne geben sie uns, und der Mond und die Gestirne und das Meer ...“
„Aisopos“, sagte Fabri leise. „Ihr kennt ihn auswendig. Wie schön, diese Worte auf meinem Sterbebett noch einmal zu hören. Der Herr segne dich, meine Tochter.“
Alle schwiegen. Da bat Fabri mit fester Stimme die Franziskaner um den Empfang der Sakramente, und Rixende entwuchs in diesem Augenblick endgültig ihrer Jugend.
Carcassonne trauerte, das Haus Fabri jedoch erstarrte. Benete, die bereits der Tod ihres „kleinen Aimeric“, wie sie ihn noch immer nannte, zutiefst getroffen hatte, schlich wie ein Geist umher, und Rixende schloss sich nach der Bestattung des alten Mannes für ganze drei Tage in ihre Gemächer ein. Sie fühlte sich unendlich müde und leer.
Es war Paco, der Benete so lange drängte, bis sie ihn endlich zu Rixende vorließ.
„Herrin“, rief er noch an der Tür, „er ist wieder da, der Franziskaner! Wir haben doch versprochen ...“
„Still!“ fuhr ihn Rixende ärgerlich an. „Willst du, dass die ganze Stadt davon erfährt? Komm herein und schließ die Tür hinter dir.“
Rixende nahm Feder und Tintenhorn zur Hand, schrieb eine Nachricht für Délicieux und schickte den Jungen damit los.
Der Lektor erschien noch am gleichen Abend im Roten Haus. Auch ihr gegenüber verschwieg er, was seine Mönche von dem Bauern über die Todesstunde von Aimeric erfahren hatten. Er war sich nicht sicher, wem er diese Schandtat zuschreiben sollte, Bonifatius oder Abbéville und Saint-Georges.
Dann kam er auf den Befreiungsversuch zu sprechen. Das Kinn in die schmalen Finger seiner rechten Hand gestützt, meinte er in seiner unnachahmlichen ruhigen Art:
„Ich habe bereits auf dem Herweg gründlich nachgedacht. Gleich morgen werden meine beiden Novizen den Zugang zu Eurem Lagerhaus zumauern und vor dem frischen Mauerwerk Schutt und Steine aufhäufen. Das alles ist von großer Wichtigkeit, Frau Rixende, damit man nicht Euch verdächtigt, wenn nach der Befreiung der Gang entdeckt wird. Erst dann wollen wir uns daran machen, die Männer herauszuholen. Der beste Zeitpunkt dafür wäre die Sonntagsmesse, denn dann befindet sich die halbe Stadt in St. Nazaire. Die Gefangenen werden als Mönche verkleidet die Stadt verlassen. Nach Albi können sie natürlich nicht zurück. Dies würde Abbéville sofort erfahren, und sie wären schneller wieder im Loch, als sie Amen sagen könnten. Sie müssen in unseren Ordenshäusern bleiben, zumindest so lange, bis sich der König
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