Road of no Return
deshalb manchmal anschrie und tobte.
Doch wahrscheinlich war es eher so, dass sie wohl schon tot war, die Lola Nan, die mich auf den Schoß genommen hatte und gesungen und gesummt hatte wie die Schienen, bevor sie selbst aus dem Gleis geriet.
Ich schlich mich zum Treppenabsatz und beugte mich über das Geländer.
Die beiden Frauen standen im Flur und ich konnte etwa die Hälfte ihres gedämpften Gesprächs hören. Meist redete Mum, und ich muss schon sagen, ich war beeindruckt. Schließlich ist Trösten ihr Beruf, sie war darin Profi, und sie sagte zu Mrs Mahon Dinge, die mir nie eingefallen wären. Vielleicht konnte sie sonst nichts gut, aber mitleiden, das beherrschte sie. Ich verspürte eine Art widerwilligen, verlegenen Stolz.
Doch dann übertrieb sie es.
Sie berührte Aidans Mutter am Oberarm, und die versuchte krampfhaft, nicht zurückzuzucken, denn wenn sie auch nur ein bisschen wie Orla war, dann mochte sie überflüssige Berührungen nicht. (Glücklicherweise hatte ich noch nicht den Fehler begangen, es zu versuchen, aber ich hatte einen unangenehmen Zwischenfall mit Kev Naughton mitansehen dürfen.) Mum musste den Widerstand gespürt haben, denn sie ließ Mrs Mahons Arm los. Dann besann sie sich und nahm stattdessen ihre Hand und drückte sie mitfühlend.
»Denken Sie daran, Gott erlegt uns keine Bürde auf, die wir nicht tragen können«, erinnerte sie sie.
Es war einer ihrer Lieblingssprüche. Ich hatte ihn auch schon gehört, bei den Worten der absolut dämlichsten Volksweisheiten und ihn schon immer für schwachsinnig gehalten. Jetzt schloss ich die Augen und hielt mich am Geländer fest, weil ich fürchtete, dass mir vor Scham so schwindelig wurde, dass ich hinunterkippen würde.
Manchmal sagen Eltern etwas so Peinliches, dass man am liebsten sterben würde. Und manchmal reicht es gar nicht aus, nur zu sterben, man will die Eltern auch noch umbringen. So ein Moment war das. Mum erklärte der Mutter eines toten Jungen, dass ihr nebulöser Gott es gar nicht auf sie abgesehen hatte, sondern nur eine Art kosmisches Cowboyspiel spielte. Und wahrscheinlich hatte er, als Aidans am Boden zerstörter Vater den Rest seiner Familie im Stich gelassen hatte, nur seinen Stetson etwas nachlässig aufgehängt.
Doch Aidans Mutter ließ sich nichts anmerken. Ich nehme an, sie war zu höflich und wollte nicht, dass Mum sich unwohl fühlte. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, aber ich vermutete, sie lächelte Mum nur an, ging leise hinaus und schloss die Tür. Als ihre verschwommene Figur hinter dem gemusterten Glas verschwunden war, eine Autotür geknallt wurde und ein Motor gehustet hatte, angesprungen und in der Ferne verklungen war, legte Mum das Gesicht in die Hände und begann zu weinen.
Ich ließ sie.
Damals
4
Kevin Naughton hat ihn umgebracht. Kevin Naughton hat den Freund meiner Schwester mit einem preisreduzierten, superscharfen Gemüsemesser getötet. Er hat damit auf den Bruder des Mädchens eingestochen, das ich liebe, und seine Arteria subcostalis durchtrennt. Kevin Naughton hat Aidan Mahon ermordet.
Kevin Naughton war mein Freund.
Was hast du dir dabei gedacht? , hatte Dad mich in den Tagen danach ständig angeschrien. Warum hast du dich mit diesem Abschaum eingelassen? Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?
Ganz recht, Dad, was habe ich mir nur gedacht? Gute Frage.
Ich rede mir gern ein, dass man, wenn die eigene Mutter die lokale Gott-deiner-Wünsche-Sendung moderiert – und deine Person gelegentlich dazu missbraucht, um einen heiteren Aspekt ihres amüsanten Familienlebens zu illustrieren –, gemeiner, taffer und kranker sein muss als alle anderen, sonst ist man tot. Und darin steckt ein Körnchen Wahrheit.
Allerdings ist es kompliziert.
Ich habe Kev Naughton am ersten Tag an der Craigmyle High kennengelernt. Ich wusste sofort, dass er genauso viel
Angst hatte wie wir anderen Neulinge auch, aber am meisten Angst hatte er vor seinem großen Bruder. Mickey Naughton war wesentlich älter und hatte die Schule bereits verlassen, doch er hatte gerne ein Auge auf Kev. Er verkaufte den Bauern Stiersamen – hinten in seinem Auto hatte er jede Menge kleiner Fläschchen mit Sperma –, aber offensichtlich befruchtete er die Kühe ziemlich unregelmäßig, denn er hatte immer genügend Zeit, um in der Nähe der Schule herumzulungern und zu sehen, was Kev so trieb.
Vielleicht lag es an seiner intimen Beziehung zu Rindviechern, vielleicht hatte es dazu geführt, dass er Verachtung für die
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